130 Populäre Kultur und ihre Musik Kraft von Opposition. Dem Spiel mit der Umbewertung von Zeichen wird der Boden entzogen – hedonische Kultur funktioniert nicht auf der Zeichenebene, sie ist in ihrer Passivität autark und insofern agitatorisch: In dieser Erscheinungsform wirkt er auf Mille Plateaux (DELEUZE & GUATTARI 1992); Hedonismus ist durch szeneeigene Theorienbildung gestützte oppositionelle Mikropolitik. Popular Culture agiert abseits der christlichen Heils-Verheißung, abseits aufklä-rerischer Vernunft gegen eine als kulturelle Leistung erachtete Verdrängung des Hedonismus: »Mit Techno gibt es kein Versprechen für die Zukunft, sondern ein Gefühl der Befreiung im Hier und jetzt« (ASSHEUER 1997, S. 33 zitiert nach RÖ- SING 2001, S. 81). Dies gerät in die Nähe eines politischen Konzepts als emotionales Konzept. Ein solcher Kontext, auf dem dann Texte zu dekodieren sind, entzieht sich linguistisch-strukturalistischen und kulturell-semiotischen Betrachtungswei-sen – diese sind dem gelebten Gegenstand »sounddominierte Popmusik« und ihrer unmittelbar körperlichen Gestaltung/Rezeption nicht adäquat. »Spannungsschema« nennt SCHULZE (2000, S. 153) das in Wechselbeziehung mit primär der Musik der Pop-Kultur zu beobachtende Muster der Massenkultur – als drittes alltagsästhetisches Schema in Deutschland. Die Steigerung in der Intensität der rhythmisch dynamischen und damit körperlichen Komponente fällt mit der Zunahme der Geschwindigkeit des Alltagslebens im Wirtschaftsaufschwung der Nachkriegszeit nicht nur zeitlich zusammen. »Es entstand ein Resonanzraum für die Artikulation von Dynamik, ohne den es die Entwicklung der Popmusik in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre nicht gegeben hätte. In dieser Musik verbündete sich die Lebensphilosophie von Antiautoritarismus, Gegenkultur und individueller Freiheit mit Stilelementen von rhythmischer Aggressivität; Tempo, Lautstärke und expressiver Show. [ldots] ›power‹ als musikalisches Stilelement [. . . ] ein Dynamisie-rungsschub « (SCHULZE 2000, S. 154) als Distinktionselement weg vom deutschen Schlager der fünfziger und sechziger Jahre. »Auch innerhalb der Popmusik ging die Entwicklung ständig in Richtung auf Steigerung des Ausdrucks von ›Action‹ weiter. Bob Dylan im Verhältnis zu Woody Guthrie, die Stones und Fleetwood Mac im Verhältnis zum traditionellen Blues, Discomusik im Verhältnis zur Popmusik: Die Nachfolger übertreffen die Wegbereiter an Suspense und Aggressivität. Bis in die achtziger Jahre [zum Zeitpunkt der Untersuchung; Anm. d.Verf.] hinein unterlag die Musik des Spannungsschemas einer stetigen Dynamisierung. Akustische Instrumente wurden durch lautere und rhythmisch stärker akzentuierende elektronische Instru-mente verdrängt. Die technischen Anlagen leisteten mehr. Gleichzeitig mobilisierte sich das Publikum« (SCHULZE 2000, S. 154) Das stille Sitzen in der klassischen Konzertaufführung der späten 60er-Jahre mutiert zur ekstatischen Bewegung des Massenpublikums als fester Bestandteil der Aufführungskultur. »Spannung kommt am klarsten in den Musikstilen zum Ausdruck: Rock, Funk, Soul, Reggae, Pop, Blues, Jazz und anderes. Das Publikum dieser Musik lässt sich Dynamik nicht nur von anderen vormachen, sondern praktiziert sie auch selbst [. . . ]. Im schönen Erlebnis des Spannungsschemas spielt der Körper eine zentrale Rolle. Die physikalisch meßbare Intensität von Reizen hat sich immer mehr zum eigenen Stilmittel entwickelt. Lautstärke, Geschwindigkeit, Hell-Dunkel-Kontraste und Farb-effekte sind oft bis zu einer Intensität gesteigert, wo die bloße sinnliche Erfahrung schon die ganze Aufmerksamkeit beansprucht. Neben die rezeptive Funktion des