1.4 Stadien der Pop-Kultur aus theoretischer Sicht 135 Mag die jeweils eigene Rezeption von Pop-Musik noch eine Wechselwirkung mit Bildung und der (beruflich bedingten) alltäglichen körperlichen Aktivität der Hörer eingehen (JOST 1982), so zeigt auch diese Interaktion letztlich nur die Dominanz körperlicher Aspekte von Musik. Die Rezeption von Pop-Musik ist vorrangig durch die unmittelbare Wirkung von Klang in einem sozialen Umfeld bestimmt. Für die Genese gilt, dass Pop eine Körperkultur ist, in der die Körper-Klang-Koppelung tragend wirkt. Klang ist der dominante funktionale Aspekt von Musik zur unmittelbaren körperlichen Stimu-lans, zum Mitbewegen, zur Generalisierung von Bewegtheit auf soziale Bewegung. Die Beatniks sahen in den tatsächlich Geschlagenen, den Schwarzen, Identifikati-onsobjekte. »Schwarze galten ohnehin als das ›andere‹ der Disziplin – als sexuell aufreizend, faul und happy-go-lucky –, insofern waren sie für die weiße Körperkultur Vorbilder« (HOLERT & TERKESSIDIS 1996, S. 13). Dieses vorerst im pubertären Erstreben Ersehnte des Körperlichen, des Emotionalen der schwarzen Kultur führt zur Zuwendung zu schwarzer Musik, ihrer Klanglichkeit und ihrer musikantischen Spielformen, dem Sound von black Music. In Symbiose mit den weissen ländlichen Musizierformen führte die körperlich aufreizende black Music zum Rock’n’Roll und seinen Pop-Derivaten der nächsten Generationen. Wohl nicht nur aufgrund des wirtschaftlich politisch bestimmten Ausstrahlungs-bereichs amerikanischer Kultur gelang dieser Lebensweise eine Globalisierung; es ist vermutlich jene basale hedonische Haltung, die den (wechselseitigen) Transfer von Körperkultur zu Konsumptionskultur weltweit erlaubt. Die Basis ist also gleichsam ein primäres Bedürfnis. Die Jugendlichen wurden zur gesellschaftlichen Avantgarde der Durchsetzung der neuen Werte des Konsumismus. Sie wehrten sich gegen die ständige Disziplinierung und Bedrängung ihrer Körper und verlangten von der Kulturindustrie die Einlösung ihrer Versprechen. Rock’n’Roll ist das potenteste Agens dieses grenzenlosen weil basal individuell motivierten Kampfes, es ist Anpas-sungsinstrument der Politik, zugleich der vielfältig gelebte Widerstand gegen die Disziplinargesellschaft. Ob der geringen Mediatisierungsstufe, der hohen Körperlichkeit des Musizierens, der Allgemeingültigkeit konnotativer »Bedeutungen« sind Dimensionen des Ama-teurhaften und Populären der Pop-Musik in diesen Bereichen der Volksmusik sehr nahe; schließlich ist sie in Verschmelzung mit Kunststilen auch aus ihr entstanden. Anthropologische Ansätze, gesäubert von ihrer essentialistischen Gefahr, und so-ziologische Untersuchungen, Klangforschung und das individuelle Klang-Erleben sowie seine sozialisierenden Formen (wie die Rückwirkung auf die Formung von Pop- Sounds) zusammen zu führen, proklamiert ein Ansatz zur Erforschung körperlichen, nicht-artifiziellen Musizierens abseits der Zeichenhaftigkeit. Allerdings gilt es, die Ehe mit den Medien in der Distribution, im wirtschaftlich/politischen Spiel zwi-schen Affirmation und Dissidenz und ihre Rückkoppelung auf die Musikgestalt(ung) ebenso wie die technische Bestimmtheit durch den (hackerartigen) Gebrauch von Rundfunktechnologie sowie die Verfügbarkeit von direkt handhabbarer Instrumen-tentechnologie mitzudenken. Vor allem ihre kommerzielle Bestimmtheit grenzt die Pop-Musik von der sich selbst generierenden Volksmusik grundsätzlich ab (FRITH 1981).