1.5 Sound-Generations 137 Musik emotionale und soziale Nähe zu Außenseitern und Sinnbild persönlicher Freiheit; dies diente der Masse weißer Jugendlicher als Projektionsfläche zur Er-füllung pubertärer Sehnsüchte. Die – aus ihrer Sicht – emotional bestimmte und undogmatische Kultur der Schwarzen (Not gedrungen eine Kultur der Außenseiter mit entsprechender »Gegenhaltung«) bot ihnen die Möglichkeit zur Identifikation im pubertären Drang nach Selbstbestimmung. In der ländlichen Kultur und der schein-baren Unbestimmtheit des Landes und seiner Lebensformen ist die Potentialität zu persönlicher Freiheit angelegt, die sie mit der Weite des Landes assoziierten und mit dem suchenden Herumziehen, dem Selbsterfahren, symbolisierten. Obwohl diese intellektuelle Verbindung bereits im schwarzen (allerdings städtischen) Rock’n’Roll der fünfziger Jahre vorhanden war, wurde sie im weißen Amerika allgemein erst mit dem Erstarken der Folk-Szene im Übergang zu den Sechzigern bewusst. Pop ist die von der Erwachsenenkultur als sozialisierende Spielwiese bereit ge-stellte Kultur für die Jugend. Die Genese von Rock-Musik in den fünfziger Jahren ist die kontrollierte und kommerziell vermarktete Erlaubnis der Gegenhaltung der pubertären Kids im Amerika der Nachkriegsjahre. Die Gegenhaltung richtete sich gegen die Haltung der Elterngeneration, die puritanisch und von einem materiel-len Lebensstil bestimmt war. Die Jugend wandte sich zunehmend den schwarzen kulturellen Ausformungen und den intellektuellen Leitbildern der Beatniks zu. Diesem Gedankengut der Außenseiter-Kultur und dem zunehmenden Interesse der Jugend an schwarzer Kultur und an ihren Produkten setzte man die ideologische Spielwiese Rock-Musik bewusst als Fangnetz entgegen. Der »white nigger« (vgl. MARCUS 1996), der imagemäßig gestylte Elvis Presley sang und verkörperte – im wahrsten Sinne des Wortes – diese begehrten schwarzen Elemente. Er musste aber stets ein Kind des American way of life bleiben, der amerikanische Sohn, der den Traum des sozialen Aufstiegs vom Lastwagenfahrer zum fürsorglich der mütterlich-väterlichen Familie zugewandten Millionär vollzog. Letztlich war Presley die Identifikationsfigur, die das republikanische Amerika stylte, um die pubertäre Generation von Abtrünnigen heim zu holen – einerseits leistete der massenmedial gelebte Traum vom Aufstieg im American way of life Identifikation mit der Heimat, andererseits erlaubte die von ihm verkörperte Gegenhaltung auch Identifikation damit. Elvis’ Stimme, sein Gesang, seine Bewegung deuten bloß auf die Funktion der sexuellen Aufreizung hin. Neben dem Bedürfnis der Ablösung vom Elternhaus ist es wohl dieses Sexuelle, das diese Generation primär aufwiegelnd fesselte, wodurch – vielleicht gezielt – gesellschaftliche Bedürfnisse (kontrollierend) »verwandelt« wurden. In der Tradition religiöser Züchtigung (vgl. WEBER 1920, 1993) wird hier gezielt kontrollierte sexuelle Freiheit betrieben, politische Freiheit aber gezielt kontrolliert. Der Gegenentwurf von MARCUSE (1965) zur machtstabilisierenden Kontrolle von Sexualität, die Parolen der 60er-Generation zur sexuellen und politischen Freiheit, würden durch ihr Zulassen entkräftet. Mit dem Fokus auf Sexualität entspricht diese gesellschaftspolitische Entwicklungsphase des Pop den Bedürfnissen der sie tragenden Jugendlichen in der pubertären Phase. Mit dem Abgesang des Rock’n’Roll in den USA am Ende der fünfziger Jahre mit sich damals etablierenden Pop-Formen, die sich mit der klanglich-rhythmischen Hülle des Rock’n’Roll begnügten und sich mit seiner Ideologie als Kolorit schmückten,