1.5 Sound-Generations 139 Die britischen TV-Shows jener Tage (Rock Steady Go) zeichnen die Situation des gemeinschaftlichen Gruppen-Musizierens und sich tanzend Unterhaltens im Studio künstlich nach; sie distribuieren damit ein emotionales Klima und geben damit eine Vorlage für das Disco-Feeling wie das entsprechende Video. Das öffentliche Interesse an dieser Gegenhaltung dient jedoch ihrer gewinnbringenden Vermarktung und Kontrolle durch die Elterngeneration. Der »Erfolg« dieser authentischen Szene machte sie für die großen Medienkon-zerne attraktiv: EMI vermarktete nicht nur die Proponenten, die dadurch zu den bedeutendsten der Szene wurden. EMI erzeugte auch Klone (z. B. Gerry and the Pacemakers), die im Fahrwasser der Beatles flächendeckend in mehreren und paral-lelen Angriffswellen den Markt erobern sollten; EMI hat das wirtschaftliche Neuland als Major aufgesogen. George MARTIN hat nicht nur den Welterfolg der Beatles in der frühen »Kaugummi-Phase« (MARTIN 1997) ermöglicht, MARTIN hat ein junges und eigenständiges sozioästhetisches Feld im Sinne der herrschenden kultu-rellen Vorstellungen kultiviert. Mit den Projektionen seines musikalischen Denkens aus der Erfahrung mit barocker Musik hat er den mit Kunstanspruch infiltrierten Musikstil der Mitte der sechziger Jahre wesentlich mitbestimmt. Mit Techniken der musique concrète, der elektronischen Musik hat er das Studio als Instrument etabliert. Im Verein mit der Kunstnähe in Liverpool und Manchester, der Nähe zur Pop-Art Richard Hamiltons, hat sich mit den Realisationsmöglichkeiten der Technik der unbeschwerte Mersey-Beat zur Kunst-Musik entwickelt und war damit Katalysator des Eindringens der Pop-Musik in musikwissenschaftliche Forschung – Kunst-Anspruch und kunstvolle Techniken und die Vorstellung von zeichenhafter musikalischer Kommunikation waren die Faktoren der Annäherung. Die Übertra-gung von Techniken der elektronischen Avantgarde auf Pop-Musik durch George Martin ist eine innermusikalische Annäherung von Pop-Musik an Kunst-Musik. Die Nähe der britischen Pop-Musik zur Pop-Art ist eine außermusikalische Bedingung der Annäherung an die bürgerliche weiße Kulturform, der Anspruch von Kunst im Gegensatz zur Unterhaltung entspricht der »ernsten« kulturellen Äußerung. Zu Kunstanspruch und Verbürgerlichung mutierte Pop aber auch über die Londoner-Szene: Virtuosentum, endlose Improvisationen im Konzert, Supergroups aus Virtuosen, schließlich die Integration von Tasteninstrumenten, Bläsern, Chören und orchestraler Elektronik in das Gitarrenensemble und die Adaption von Werken der Ernsten Musik prägen diese als »Art-Rock« benannte Richtung des Pop. Pop-Art bringt aber auch die Selbstreflexion in den Pop ein – Pop produziert und vertreibt sich nicht nur selbst, er thematisiert sich selbst – musikalisch und journalistisch/literarisch. We are only in it for the money (Frank Zappa & The Mothers of Invention 1968) Glam-Rock, Performance-Rock sind jene Vorboten der Reflexion, die dann später mit dem Projekt Sex Pistols solche politische Dissidenz produzierte, die dann für die Leute gegen die sie sich richtet »wertvoll« ist, die aus dem feministischen Bereich heraus mit Lydia Lunch jene Rolle thematisiert, die der männerdominierte Pop der Frau zuschreibt: das Sexobjekt; ein dekonstruierendes Spiel mit machtbesetzter Sexualität, das im postmodernen Mainstream mit Ma-donna zum »Allgemein-Gut« wird: Stars als Kreationen der Wirtschaft in all ihren vermarktbaren Rollen – vor allem Dissidenz and sex sells . . .