140 Populäre Kultur und ihre Musik Im Glam-Rock verschmilzt zeichenhafter Pop mit schwarzen Tanzstilen in der Disco, jener agitatorischen expliziten Körperkultur. Als gelebte Körperkultur ist sie der Schritt in die hedonische Phase des Pop, als gelebte Körperkultur ein Bruch im sozialen/politischen System. Schon Rock’n’Roll war agitatorische Musik, aktivierend zum Tanz, (noch) nicht zur Rebellion. Wenn auch zum Ausagieren konzipiert, so hat diese im Kollektiv angelegte Form des happy sound vom Mersey Beat bis zum Techno die damit verbundene emotionale Haltung internalisiert und nach außen tragen lassen. Gerade diese hedonische Grundhaltung der Pop-Kultur, ihr emotional aufwiegelndes Klima, wird aber meist nicht als politische Agitation gewertet. Hingegen wird die explizite politische Manifestation (im belehrenden Folk der frühen 60er Jahre, im resignativen Polit-Rock der späten 60er Jahre und später im Hip-Hop der Old School) als politische Agitation betrachtet. Die in der Gegenhaltung zur Massenkultur als amerikanischer Existenzialismus existierende Beatnik – Bewegung ist jene explizit formulierende, ursprünglich litera-rische Bewegung, die sich gegen die politische Ideologie im Amerika der fünfziger Jahre wendet, gegen Rassentrennungspolitik, gegen Atomversuche, gegen eine letzt-lich ausschließlich kapitalistisch geregelte Welt, verkörpert in den Metropolen der USA. Die on the road Metapher steht für die stete Unruhe, zugleich für den Aus-zug aus den Städten, was einhergeht mit einer back to the roots – Haltung, wenn sich diese Stadtflucht mit ländlicher und meist auch schwarzer Haltung mischt. Intellektuelle literarische Gegenhaltung trifft auf schwarzen originären Blues: Es entsteht jener Nährboden, der die intellektuelle Gegenhaltung der sechziger Jahre bestimmen sollte. Eine Gegenhaltung, die der Rezeption der mittelständischen, gebildeten Weißen Europas näher lag, als die hedonische (Tanz-) Haltung – die idealistische Kulturform hatte ihre Avantgarde, die körperorientierte Anti-Haltung war damit überwunden. Diese Haltung drang explizit mit der Verschmelzung von ländlichem Blues und der Beatnik – Wortgeladenheit im Folk in den Pop ein. Die in schulmeisterlicher Art vorgetragenen Texte von Joan Baez, ohne jegliche Körperregung auf der akustischen Gitarre begleitet, dem Zuhören und Verstehen zugedacht, wurden von Bob Dylan »verstärkt«. Sein Griff zur Elektrogitarre ermöglichte ihm gezielt den Zugriff auf die Masse – Pop wurde hier als Medium einer politischen Botschaft gebraucht. Sie war nicht nur Ackerland auf dem der intellektuelle Folk gedieh. Die Musik der schwarzen ruralen Gebiete drang in die Clubs von London vor – der Blues galt als Paradigma der musikalisch authentischen Gegenhaltung. Der Sound der kontemplativ verführenden Lead-Gitarre lässt sich nicht aus der Verwendung der Gitarre in der Jazz-Combo ableiten, wie sie Elvis als Begleitgruppe nutze. Solche musikalischen Elemente finden sich beim schwarzen Gitarristen Chuck Berry, der dann auch zur musikalischen Leitfigur des Gitarre orientierten Rock wurde und die nächsten Generationen prägte. Sein Repertoire gehörte zur Schule aller nach-folgenden Rock-Gitarristen – dieserart wurde solche Klanglichkeit weiter gegeben. Die Adaption des schwarzen Blues durch die mittelständischen Weißen führte zu kontemplativen Musizierformen des britischen Rock-Musik, zu kulturellen Missver-ständnissen, zugleich zu einem emotionalen, politisch wirksamen Klima. Love in vain von Robert Johnson wird bei den Rolling Stones zum sentimentalen Liebeslied.