1.5 Sound-Generations 141 Die pubertäre Schwermut fällt zusammen mit globaler kriegsbedingter Schwermut (am Höhepunkt des Vietnam-Krieges und dem emotionalisierten Widerstand gegen diesen in der Jugendkultur) und wirkt als Verstärker von massenhaftem, emotio-nal gesteuertem Verhalten von pubertären Jugendlichen. Diese medial vertriebene emotionale Gestimmtheit einer Generation fördert, im Sinne der Haltung der Beat-niks On The Road Again, Einleitungssong der Gruppe Canned Heat zum Film Woodstock, Fluchttendenzen auf das Land, oder in alternative Rauschwelten, in psychedelischen Kulturformen musikalisch getragen von den schwebenden Sounds der Hippies. In diesem Prozess der Aneignung zeigt sich letztlich, dass nicht schwarze Songs übernommen werden, sie dienen als Projektionsfläche der pubertären Sehnsüchte – wirken wie »billiger Urlaub im Elend der anderen Leute« (vgl. MARCUS 1992, S. 27). Mit Elementen des Jazz angereichert, der Improvisation, letztlich der kollek-tiven Improvisation, wurde das solistische Spiel mit der Vorstellung der Virtuosität verbunden – Supergroups sind der Verkauf dieser auch den anderen musikalischen Kunstformen nahestehenden Haltung. Virtuosität des Vortrags und kontemplatives Einfühlen in die Musik in der statischen Situation des Konzerts sind klare Übernah-men des bürgerlichen Musizier- und Rezeptions-Verhaltens – dem gegenüber steht der erregende und zum Tanz verführenden Pop. Vom unbeschwerten Amateur-Sound, der das Gemeinsam-Sein im Club zum I wonna hold your hand umspielte, über das rebellische Aufbegehren in I can get no satisfaction zur Solidaritätsbekundung in der Hymne my generation zur Anklage in politician vollzieht sich die Wandlung vom Happy-Sound der Lieder zu den monoton stampfenden distorted Gitarren-Riffs. Klanglich und ästhetisch gipfelt dieses Wir- Gefühl im einlullenden Heavy-Sound des (von gruppeninternen Interaktionen der Kollektivimprovisation bestimmten) psychedelic Hard-Rock, der die abgrenzenden Merkmale in sich trägt, die die Gegenhaltung fordert, zugleich die Abgrenzung in eine innere Isolation überleitet, die in der Einstellungs-Welt der Hippies liegt und durch eine entsprechende Klangwelt stimuliert wird. Bürgerliches Virtuosentum, Konzertverhalten, Selbstreflexion, kompositorische Techniken aus der E-Musik, Nähe zu Pop-Art und schließlich explizite textliche Äu-ßerung in der Folge des Beatnik-Folks, all das sind Faktoren, die den Kunstanspruch, die Kunstnähe des Pop der zweiten Hälfte der sechziger Jahre indizieren – explizite aufklärerische Gegenhaltung. Implizite Gegenhaltung im unterhaltenden Genuss ist dieser Phase fremd; sie wird mit der zunehmenden Adaption des schwarzen Verhaltens über die körperorientierte Musik erwachen. Die Songs waren letztlich Symbole der Gegenhaltung, ihre Interpreten Reprä-sentanten derselben; eine außerparlamentarische Opposition beschränkte sich auf Bekundung von Gegenhaltung mittels Symbolen und auf Sympathiebekundung zu medial vermittelten Akteuren einer »Bewegung« – ideologisch getragen von Schreib-tischrevolutionären wie Daniel Cohn-Bendit die Situation der späten 60er-Jahre beschreibt. Individuelles Handeln im Sinne eines basisdemokratischen Handelns war diesem Wir noch nicht eingeschrieben, Alternativen waren bloß symbolisch verankert. Die Dominanz der aufklärerischen Haltung lässt sich mit der Fassbarkeit der Wissenschaft und Politik der herrschenden Systeme erklären – beide sprechen die-