156 Populäre Kultur und ihre Musik Bedingungen die dies ermöglichen; gerade diese werden in den zeitgenössischen Avantgarden erforscht, nicht die technischen. Diese hier kritisch ergänzte Zusammenfassung der Ausführungen von HOFF-MANN (2002) beschreiben die andere Avantgarde, jene aus dem populären Bereich; die Kriterien des Avantgardistischen nimmt der Autor dennoch aus der innermu-sikalischen strukturellen Arbeit der artifiziellen Musik. Wenn auch Reste dieser europäischen Tradition vorhanden sind, ist der gelebte Techno hedonisch und mas-senhafte Körpermusik mit Abfall – Technologie. HOFFMANN selbst nennt diese Musik »elektronische Tanzmusik«, kehrt dennoch die musikalischen Äußerungen mit Kunstanspruch hervor. Gerade im Umfeld des deutschen Autors existiert kom-merziell gesteuerter Mainstream des Techno, dessen dominante Ausformung wenig innermusikalische Innovation anstrebt wie die elektronische Festivalmusik, sondern reichlich mit esoterisch, gleichsam archetypisch patriarchalischen Machtfantasien angereichert, spezifisch ideologisch gefärbte emotionale Klimata erzeugt. Diese Mixturen von technoiden Formen und Hip-Hop, die den Ton in Viva und (dem deutschsprachigen) MTV angeben, widersprechen dem breiten Raum, den HOFF-MANN in seiner Betrachtung den selten gehörten und auch kaum in den Mainstream aufgenommenen (Kunst-) Formen einräumt. Heute sind Communities Arbeitskollektive. Die sozialen Utopien sind verflogen, die mit den Implikaten von Technologie eine demokratische Gesellschaft erdachten, die horizontale Strukturen im Unterschied zum vertikalen Pop im Techno sahen; sie sind ein Opfer der Popularisierung – dem Mechanismus von Pop-Kultur als dem Verkauf von Gegenhaltung unterlegen. »Die extrovertiertesten unter den DJs, die sogenannten sven väths, verfielen dem rock-phänomen, spielten rockstars. sie haben die nonfigurale, ornamentale ästhetik von techno nicht begriffen. was als entpersonifizierte kunst begann, artete später in heavy-metal-ähnlich inszenierte selbstglorifizierung aus. die rückkehr des ego hat techno das leben innerhalb von zwei jahren ausgeblasen! was übrigblieb, ist die ›one nation/one tribe/one family/new society‹-plärrerei der maydays. es wird sich zeigen, ob sich die deutsche techno-lobby wieder von dieser route wegbewegt, neue polytheistische einflüsse zulässt, oder harthäuser und labels mit low spirit weiterhin kommerz-techno produzieren, was dann eine tote kultur bliebe« (ROSE 1995, S. 165). Die Selbsteinreihung in die Liste der großen (klassischen) Avantgarden des Jahr-hunderts und schließlich der Anspruch, ihre Popularisierung zu leisten, ist eine (widersprüchliche) Hypeness der Szene: Die Nutzung der Medien, die Selbstpro-klamation, erinnert an totalitäres Gehabe, ein Verhalten, das Macht erzeugt und stützt – eine »Strategie der Subversion durch Affirmation« (DIEDERICHSEN 1989, S. 6), oder eine Verhalten, das mit dem subversiven Gehabe von Hackertum und Hypeness kaschiert? »Die musique concrète, Dada-Gedichte, John Cage und die Graphismen von Bauhaus-Künstlern – allesamt heilige Kühe avantgardistischer Kunst dieses Jahrhunderts – sind vom DJ ohne Kenntnis, dafür aber mit mehr Selbstverständlichkeit und mit einer Leichtigkeit umgesetzt worden, die sie pop-kompatibel und damit massenverständlich machte« (POSCHARDT 1995, S. 149). Vielleicht taucht wie in den sechziger Jahren auch heute wieder Avantgarde zum Mainstream auf. Die Szene warnt aber mit für sie typischem Optimismus vor den Folgen der Popularisierung. »Banalisierung hat sowohl bei Disco als auch bei House