158 Populäre Kultur und ihre Musik oppositionellen Mikropolitik (DELEUZE & GUATTARI 1992). Die Selbststilisierung der Wiener elektronischen Szene als 3. Wiener Schule, ihre esoterisch naturwissen-schaftlich begründete Musiktheorie, ist nicht bloß eine selbstgefällige Hypeness, sie ist damit ein Bruch in den harten Linien des bestehenden Gesellschaftsgefüges. Mit ökonomischer Verfügbarkeit digitaler Informations- und Kommunikations- Technologie geht Amateurismus und Dezentralisierung einher: Individualisierung hinsichtlich ästhetischer Haltungen, Globalisierung hinsichtlich des Austausches von Produktionen – diese Distributionsmechanismen werden letztlich zu Mechanismen kollektiver musikalischer Strukturierung – frei improvisierende kollektive Musizier-formen sind nicht nur Paradigma dieser Net-Musiken, sie sind das Paradigma der Net-Art (JAUK 1999b) – aber: auch Paradigma der Polyphonie. »Vernetzte Kommu-nikationsstrukturen der Net-Art sind Lebensformen, die der informellen Gestaltung aus Kommunikation nahe kommen, theoretisch und praktisch erprobt wurde diese Gestaltung in der freien kollektiven Improvisation, die den Wir-Gedanken der sech-ziger Jahre (vor-)gelebt hat« (JAUK 2002b, S. 141), der in der Band-Komposition verwirklicht wurde. Letztlich kann jede polyphone Struktur als jeweiliges Ergeb-nis einer entpersonalisierten Kommunikation (des Wir) erachtet werden. Adornos kritische Bemerkungen zur musikalischen Objektivation gehen davon aus: »dass Musik insgesamt, zumal die Polyphonie [. . . ], in den kollektiven Übungen von Kult und Tanz entsprang [. . . ]. Polyphone Musik sagt ›wir‹, selbst wo sie einzig in der Vorstellung des Komponisten lebt« (ADORNO 1958, S. 23–24). Sound-Arbeit als Strukturarbeit ist somit auch informelle Gestaltung aus nonverbaler Kommunikati-on im Medium Klang – eine originäre unmittelbare kollektive Musizierpraxis der Pop-Musik der sechziger Jahre und nun wieder der technoiden Pop-Musik, die über das Net lebt. Die Technik des homerecordings am netzwerkfähigen alten PC mit soundcard oder am Ware-House-Laptop macht vernetzte Einzelkämpfer möglich. Mit dieser technischen Möglichkeit, vor allem der wirtschaftlichen Verfügbarkeit und der zu-nehmend intuitiv psychologischen Bedienbarkeit, gehen Änderungen der sozialen Struktur und auch innermusikalische ästhetische Veränderungen einher: Nicht mehr das zur Polyphonie stilisierte dialogische interaktive Verfahren von Musikern, son-dern die Aneinanderreihung, die Serie von Ereignissen, bestimmt Techno. Anstelle des – so wie diese Einzelkämpfer es sehen – »verlogenen« Wir-Gefühls der 60er- Jahre: die Band stand im Interesse der Medien, möglichst tragisch initiiert wie eine Familiensaga in Soap-Operas agierten Einzelschöpfer und spielten zusammen monströse Werke in Supergroups. Die anonymen Einzelkämpfer der digital Music sind vernetzt, bleiben zugleich in ihrer kollektiven Kooperation individuell oder heben ihre Person zugunsten des gemeinsamen Prozesses heraus – sie organisieren sich in losen dislozierten »labels«. In die Öffentlichkeit treten sie oftmals sogar mit mehreren Identitäten. Dieses postmoderne Verhalten mit multiplen Persönlichkeiten, die Dekonstruktion der Beziehung zwischen dem Star als Individuum und dem anonymen Kollektiv, ist nicht nur dem Mainstream eigen, wie ihn Madonna stilisiert, Aphex Twin erarbeitet mit unterschiedlichen Kooperativen in unterschiedlichen namentlichen Erscheinungen unterschiedliche Musik, er findet damit unterschiedliche Mitakteure und Hörerkreise – er nimmt im Kommunikationssystem unterschiedliche nodes ein.