2.1 Pop – ein emotionales politisches Konzept 167 Lebensskript einer/mehrerer Generation/en gemacht zu haben, primär verwirklicht durch Musik – ihren Sound. Dieses Verständnis von Kultur als emotionales Klima, als Erlebnisvorlage, bringt wesentliche Voraussetzungen mit, jugendbezogene Alltagskulturen zu erfassen, die möglicherweise (und wirtschaftliche Prozesse, die Images anstelle von Produkten herstellen, belegen dies) emotional geregelt sind. Mit ihrer emotional bedingten wie rezipierten Klangdominanz scheint Musik ein zentrales Medium im kulturellen Gefüge einer dieserart begriffenen Jugendkultur zu sein. Die Jugendkulturforschung folgert die Dominanz der Musik aus ihrer empirisch fassbaren zentralen Rolle in der Sozialisation wie aus ihrem Marktwert. Eingebunden in Lifestyle-Forschung erkennt sie den besonderen Stellenwert von Musik gegenüber anderen bestimmenden Teilen von Alltagskultur. Im Gegensatz zur Sprache könne Musik unmittelbar und uneingeschränkt Emotionen erzeugen, ohne zugleich konkrete Inhalte zu vermitteln, ohne – wie Kleidung – andere Funktionen gleichzeitig erfüllen zu müssen. Ihre Wirkung im Konglomerat Lifestyle ist zwar nicht so eindeutig und weniger plakativ, dennoch bedeutender, als sie nicht greifbar ist und man sich ihr intellektuell schwer entziehen kann. Musik ist aufgrund ihrer bedeutungsmäßigen Unbestimmtheit und zugleich emotionalen Unmittelbarkeit das dominante Medium in der Subkultur (RICHARD 1995). Der Musikwissenschaft steht in diesem Forschungsbereich ihre Orientierung an Kunstmusik und damit an Sprachparadigmen wie die sekundäre Beachtung (natur-wissenschaftlich fassbarer) funktionaler Aspekte im Wege, sie kann die Bedeutung der Klangdominanz von Musik als primären Mediator der Jugendkultur nur schwer sehen. Musik wird als das Emotionale sich abgrenzend von den kognitiven Medien Schrift und Bild zwar erkannt, die musikwissenschaftliche Forschung akzeptiert mittlerweile die Klangdominanz der Pop-Musik, sie betrachtet Klang aber als struk-turelle, innermusikalische kompositorische Größe, als (bedeutungstragendes) Zeichen im linguistischen Modell von Musik,3 seine unmittelbare funktionale Wirkung wird stigmatisiert, die massenhafte Lenkung von MCs durch Sound und Beat – die Phil-ipp ANZ und Patrick WALDER (1995) als stildifferenzierende Hauptmerkmale von Techno annehmen – wird als Hype der Szene gewertet. 3 Vergleiche elektronischer und elektroakustischer Klangverarbeitung im Pop und Techno mit den Verarbeitungstechniken der Elektronischen Musik und der musique concrète lassen dies vermuten. Die Verwendung des Studios als Instrument bei den Beatles, die Anwendung ent-sprechender Durchführungstechniken haben Pop in die Nähe der artifiziellen Musik gebracht – dort ist auch das Interesse der Musikforschung an ihr erwacht. Zeichenhafte Verweise und Ähn-lichkeiten in der kompositorischen Arbeit sind die Ausnahme der Verwendung (wirkungsvoller) Sounds, zudem ist ihre Intention anders: Gebrauch gegen die Gebrauchsanleitung führte von der Distortion bis zur Selbstoszillation von Filtern; copy and paste sind ökonomische Tools, die ein Betriebssystem bereitstellt, um jegliches digital gespeicherte Material zu verarbeiten – keine Strukturierungsmethoden zur Erzeugung minimalistisch polyphoner, rhythmischer Kom-positionen (JAUK 2001). Wenn Steve Reich seinen Zugang zur instrumentalen Minimal-Music aufgrund der analogen Speicherung und Verarbeitung (»tape loops and phase shifting [. . . ] led to . . . «, SCHAEFER 1987, S. 65) von Klang berichtet, dann tut er dies auf der Grundlage musikalischer Erfahrung – Pop ist Amateurmusik und direkte Arbeit am Sound. Verweis und Umdeutung setzen das Wissen um die Bedeutung voraus, Gebrauch geschieht oft nicht bewusst reflektiert, die unmittelbare lustvolle Empfindung des Klanges während des musizierenden Generierens bestimmt die Gestaltung.