2.2 Das Konzept Pop-Musik 173 2.2.2 Emanzipation von Pop-Theorie als Teil von Pop Die Mutation der Pop-Forschung von der Zeichen-Forschung zur Sound-Forschung ist durch die Sound-Arbeit (zuerst entlehnt aus den Techniken der E-Avantgarden) beschleunigt worden. Grundsätzlich hat die Sicht von innen einer musikalisch doppelt sozialisierten Forschergeneration diese Wandlung vollzogen. Damit hat sich das Verständnis von Pop-Kultur als Kultur für Jugendliche zu einer Jugend-Kultur, schließlich zu einer ästhetisierten Alltags-Kultur vollzogen, hat sich ergänzend zum Bewusstsein der Zeichenhaftigkeit von Pop-Musik das der Körperlichkeit heraus gebildet. Diese Generation nimmt in Anspruch, durch ihre musikalische Praxis und ihre Theorienbildung beiden Sichtweisen politische Kraft gegeben zu haben. Pop ist der offiziell verordneten Spielwiese zur Kultivierung und Anpassung pu-bertärer Ausflüge aus dem amerikanischen way of life entwachsen. Im Spannungsfeld zwischen Dissidenz und Affirmation mit Hedonismus als Trieb-Kraft haben sich die in ihm artikulierten Sehnsüchte vom Anderssein, wofür die schwarze Kultur als Projektionsfläche diente, zu einer alternativen politischen Haltung institutionalisiert und in eine Partei entwickelt. Subversive Gegenhaltung der New Culture gegen die Old Culture war der akademischen Welt als aufklärerisches Denken noch zugänglich. Hedonische Passivität der Popular Culture (vgl. BOHRER 1979) entmachtet den gesellschaftsstabilisierenden Wert von Hedonismus: seine Züchtigung ist die Basis der christlichen Kultur, er markiert die idealistische Gegensätzlichkeit von Kultur und Natur. Einer Wissenschaft, die diese idealistisch christlich-bürgerlichen kultu-rellen Werte internalisiert hat und affirmiert, fehlt das Verständnis für Hedonismus als positive Triebkraft, ohne sie in Sublimation oder andere Kultur gewordene Mechanismen der Verdrängung umwerten zu müssen. Gerade die kulturell nicht gezügelten Emotionen scheinen jener Gegenentwurf zu sein, der im Pop-Sound seine Verwirklichung findet. Siegfried BORRIS (1977) definiert Pop-Musik als Kunst aus Provokation, die diese primär nonverbal transportiert, denn »nicht die verbale Information, sondern die Betroffenheit durch den Sound zeigt die Signalwirkung der Popmusik« (Siegfried BORRIS, 1977, S. 9). Pop-Musik ist ein Teil der Pop-Art und verkörpert jene Gegenhaltung, die den Alltagsgegenstand durch Kontextvariation umbewertet und somit die zentrale Haltung gegen die bürgerliche Kultur des Besonderen, des Werkes darstellt. Darin ist Pop-Musik einem zeichenhaften Verständnis zuzuordnen, das einerseits aus dem Wissen um die Bedeutung des Zeichens erst seine Umbewertung und kulturelle Enteignung zu verstehen erlaubt, das aber andererseits wiederum auf der konnotativen Ebene meist über die ikonischen Eigenschaften der Zeichen unmittelbar wirkt. Dieses Verständnis lehnt sich mehrfach an die Auffassung von Pop als emotionales Klima an. Pop vermittelt Inhalte über Konnotationen, zum Teil durch das Spiel mit Zeichen, die entweder als ikonische direkt wirken, oder indirekt durch das Spiel gerade mit der Umbewertung von Zeichen, was als lustvoll erlebt wird. Auch diese in der Pop-Art kultivierte kognitiv bestimmte Variante von Lust ist Teil von Pop als emotionales Klima. Pop-Musik induziert als Stimulans primär durch seinen Sound und seine dynamische Qualitäten direkt Emotionen und schafft den Kontext, auf dem dann der Text zu erleben ist. Nachdem Pop vom Gegenentwurf zum gelebten Mainstream wurde, ist Provokation weniger Thema als seine hedonische Triebkraft,