2.2 Das Konzept Pop-Musik 177 Von der historischen Hochkulturforschung ausgegrenzt (KERMAN 1985; SCHNEI-DER 1993; LUGERT 19944) hat die Pop-Musik-Forschung dennoch erst langsam das aus der Analyse von Opusmusik her geübte zeichenhafte Denken überwunden und ein Bewusstsein entwickelt für Pop-Musik als klangdominierte Musik und wei-terhin für Klang als musikalischen Parameter. Diese »Umbewertung« (v. BRAHA 1983, S. 23) läuft in zeitlicher Folge klar erkennbar ab: die Musikproduktion wen-det sich vom Spiel nach Vor-Schrift zum Erarbeiten von Klang durch Missbrauch und Gebrauch von Übertragungstechnologie gegen die Bedienungsanleitung und den körperlichen Einsatz in der Kontrolle von Feedbacks durch die Übersteuerung der elektroakustischen Verstärkungskette zur direkten körperlichen Klangformung. Pop-Musizieren geht den Weg der Mediatisierung zurück zur Instrumentarisierung des körperlichen Ausdrucks in Laut und Verhalten. Analytische innermusikalische Betrachtungen, die zuerst für die notierbaren Parameter aus der artifiziellen Musik auf Pop-Musik übertragen wurden, werden mit dem Wissen um das technische Arrangement des Pop-Sounds für den Klang selbst gefordert – die Anerkennung der Dominanz tontechnischer Arbeit mit dem Instrument Tonstudio etabliert sich. Kör-perliche Spielweisen, zwar damals heftig erprobt, zeigen sich in der wissenschaftlichen Reflexion (noch) nicht. Sound wird (noch) als bedeutungstragendes Zeichen hervorgegangen aus Struktu-rarbeit verstanden. Die erst allmähliche Akzeptanz der Musik aus dem Gebrauch von Samples allein ob ihrer klanglichen und wirkungsmäßigen Qualität abseits zitat-hafter oder zeichenhafter Funktion im frühen Techno weist die Schwerfälligkeit des Nachvollzugs musikalischer Praxis durch die musikwissenschaftliche Pop-Forschung aus. Klang ist im Techno nicht Zitat oder Verweis, Klang ist direktes Stimulans. Es geht beim Sampling nicht »um das aufklärerische Ausstellen von Geschichtlichkeit und Zeichenhaftigkeit«, [es sind] »instrumentale Samples, die nicht durch Bedeutung Zitathaftigkeit ausstellen« (DIEDERICHSEN 1996, S. 111). Die Pop-Musik-Forschung sieht mittlerweile Klang als primären innermusika-lischen Parameter, bleibt aber in seiner Bearbeitung an den für die Beschrei-bung/ Erklärung artifizieller Musik adaptierten linguistisch strukturellen und kul-tursemiotischen Modellen hängen. Sie be(ob)achtet damit nicht jene ureigene Mög-lichkeit von Sound, wie sie gerade in den nicht musikbezogenen Bereichen des Pop gemeinsam mit anderen formalen Aspekten abseits jeglicher konkreter Bedeutungen, aber voll von Konnotationen zur Imagegestaltung verwendet werden. Sound ist der unmittelbare Mediator, der über körperliche Wirkungen zwar nicht Bedeutungen vermittelt, wohl aber eine Grundstimmung, die das Inventar an Bedeutungen einengt. Er vermittelt ein emotionales Konzept, das die Wirtschaft und Politik gezielt zur 4 Albrecht SCHNEIDER zitiert Ergebnisse einer 1993 durchgeführten Befragung von Studenten am musikwissenschaftlichen Institut in Hamburg, wonach diese eine Eigenschaft der systema-tischen Musikwissenschaft in der »Berücksichtigung von Jazz, Pop, Rock und sonst in der Historischen Musikwissenschaft nicht behandelter Musik« (Albrecht SCHNEIDER 1993, S. 161) sehen. Diese Beobachtung steht im Einklang mit dem musikwissenschaftlichen Selbstverständ-nis des »study of the history of Western music in the high-art tradition« (KERMAN 1985, S. 11) und der praktizierten Forschungshaltung. Im Begriff Popularmusik sei nach Wulf-Dieter LUGERT weniger die Intention zu sehen eine Definition zu leisten, denn bloß jene, »einen Namen für ein widerwillig zu adoptierendes Kind zu finden, das bis dahin weder von der Musikwissenschaft noch von der Musikpädagogik einer Betrachtung oder Behandlung für würdig erachtet worden wäre.« (Wulf-Dieter LUGERT 1994, S. 27)