2.3 Pop als Stimulans 187 Geste ihre erste Mediatisierung erfährt; die hohe Allgemeingültigkeit macht diese Ver-haltensweisen kommunizierbar und bindet sie in soziales Handeln ein. Beispielsweise sind Neumen jener verschriftlichte Wink (griechisch neúma), der die Melodiekontur angibt, die ihrerseits den emotionalen Gehalt in sich trägt, der die vorsprachliche Kommunikation des Kleinkindes bestimmt. In der mediatisierten Codierung im Notensystem findet sich diese rudimentäre emotionale Ausdrucksform als gestische Schrift (Nicolas PETHES 1999). Eingekleidet in anthropologische Theorien sowie Theorien sozialer Prozesse werden Klang-Körper-Koppelungen ausdruckspsycholo-gisch und als Prozess der Mediatisierung zu verstehen sein. Dabei wird Emotion die zentrale Größe – nicht nur als individuelles, psychologisches Phänomen, sondern als anthropologisches und soziales, letztlich politisches zu betrachten sein. Die Mediatisierung des Ausdrucks wird auf der Ebene des Verhaltens und in instrumen-tarisierten Formen des Ausdrucksverhaltens im originären amateuristischen Spielen und der Entwicklung entsprechender spezifischer Instrumentarien zu suchen sein – weniger in der Entwicklung von Zeichensystemen als Träger von Bedeutungen. Auch wenn der Zeichenbildungsprozess im Bereich von Pop nicht zu leugnen ist, so ist er doch ein Prozess, der einer unmittelbaren körperlichen Kommunikationsform folgt. Die Priorität und gewiss auch der Primat dieser unmittelbaren Ausdrucksweise erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Bedeutungszuordnung letztlich durch die emotionale (signalhafte) Wirkung der Träger eingeengt ist – es wird das ikonische Zeichen, das »präsentative Zeichen« (LANGER 1942), gar die Geste sein, die als erste Mediatisierungsstufe von körperlichen Äußerungen analytisch zu untersuchen ist und nicht das in der Sprache dominante Symbol als willkürlicher Informationsträger. Analytische Betrachtungen von Musik folgen dem im Selbstverständnis von Werk- Musik verankerten und von der mit ihr gekoppelten Musikwissenschaft formulierten Postulat von Musik als Sprache. Diesem Sprachverständnis steht das – nicht nur wegen der Ahnung Adornos, emotionales Hören lasse leichter sozial verführen – geschmähte Schwelgen im Sound gegenüber; gerade dieses scheint die adäquate Ausdrucks- wie Rezeptionsweise des Pop zu sein. Demnach ist die klanganalyti-sche Forschung von Pop zuerst eine emotionsbezogene, die die zuvor genannten individuellen, sozialen, anthropologischen Aspekte des ausdruckshaften Verhaltens berücksichtigen. Emotionen werden dabei als nicht bedeutungsgeladen betrachtet und mit strukturellen Elementen der Musik zusammen geführt. Sie werden auf der Basis einer Körper-Klang-Koppelung und deren Mediatisierung zu diskutieren sein – Körper wie Klang sind zentrale Agitationselemente des Pop. 2.3.2 Musik und Emotion im kulturellen Gefüge 2.3.2.1 Musik und Emotion Die emotionale Wirkung von Musik wird in vorschriftlichen Kulturen dargestellt, in Mythen erzählt, im frühen Stadium naturwissenschaftlicher Erfahrung noch metaphysisch umrahmt. Die HIPPOKRATische Vorstellung macht unterschiedli-chen Gallenzufluss zum Gehirn für unterschiedliche Gestimmtheit verantwortlich. J. MATTHESON (1739) führte die im Alltag beobachtbare emotionale Wirkung von Musik auf die Verdampfung von Körpersäften wie den Gallenfluss zurück. Nach