2.3 Pop als Stimulans 197 »Geht man der gattungsinternen Differenzierung von Rock-Präferenzen aus der Perspektive der genannten drei Kriterien (Struktur, Aktivierungsgrad, Symbolcha-rakter) nach und durchforstet die dazu vorliegenden empirischen Befunde, so ergibt sich, als Tendenz und nicht als Typologie verstanden, das folgende Bild: Jugendliche aus der Unterschicht tendieren zu weniger komplexen musikalischen Ausdrucksfor-men, deren ideologische Besetzung entweder affirmativ ist, wie jene eines großen Teiles der frühen Beat-Musik, die MARTIN (1997) für die Beatles (z. B. I wanna hold your hand) als Kaugummiphase bezeichnet, und der schlagernahen Formen des Pop. Oder aber sie entscheiden sich für eine radikale, jedoch nicht politisch artikulierte, sondern eher symbolhafte Opposition gegen die Werte und Normen der Erwachsenenwelt (wie in der No-Future-Haltung des Punk). Dabei variiert der bevorzugte Aktivierungsgrad unterschichtspezifischer Rockmusik offensichtlich mit der Arbeitssituation der Rezipienten: Berufsschüler, die in den Arbeitsprozess eines Achtstundentages eingespannt sind, neigen eher zu rhythmisch ausgeglichenen, entspannenden Genres wie Soft-Rock, während Schüler eher die motorisch stimulie-renden, zum Tanz animierenden Formen des Beat und Rock bevorzugen« (JOST 1982, S. 254). »Rock-Präferenzen jugendlicher Mittelschichtangehöriger weisen demgegenüber dort, wo sie von jenen der Unterschicht abweichen, eher auf politisch besetzte Genres im Sinne von Murdocks ›Underground‹ hin [vgl. MURDOCK 1973], wobei die motorische Aktivierung sekundär ist und komplexere musikalische Strukturen, wenn schon nicht verarbeitet, so doch in Kauf genommen werden« (JOST 1982, S. 254). Diese Vorstellungen über Underground dürften von jenen Formen bestimmt sein, die vor der Erfahrung der gewaltvollen Reduziertheit des Punk durch ihre Nähe zum kunstvoll Komplexen geprägt sind. Gerade diese Umbewertung des Einfachen, Rauen, Aufwiegelnden zum ideologisch besetzten Lustvollen ist Folge des Punk und der Entdeckung seiner intellektuellen Wurzel und damit seiner allgemeinen Intellektualisierung. Während JOST dieses Genre noch in der Sicht der 70er Jahre als soziales Phänomen dem gesellschaftlichen Untergrund zuweist, ist Punk dadurch zum Ausdrucksverhalten der Intellektuellen, in seiner aufwiegelnden Qualität zum ideologischen Wert geworden – die Rezeption ist der Wurzel von Pop-Musik nähergekommen. Komplexe musikbezogene Gefühle sind nicht nur aus der einsamen, individuellen, isolierten Rezeption musikalischer Parameter ohne Vorbedingungen zu erklären. Die Erlebenssituation vollzieht sich in einem sozialen Umfeld und kann in dieses als funktionale Mitbestimmungsgröße eingehen; sie ist neben persönlichen Dispositio-nen wesentlich von situativen Faktoren mitbestimmt. Gerade Pop-Musik kann als Mittel der persönlichen Identifikation zur sozialen Positionierung dienen. Durch die wesensbestimmte Fokussierung der Inhalte von Pop-Musik auf die Belange der Entwicklungsstufe(n) hin zur Selbstbestimmung, ist Pop-Musik in der Pubertät und Adoleszenz mit erhöhter Wahrscheinlichkeit Mittel der Identitätsfindung (JAUK 1994). Nicht nur die (ideologischen) Gruppierungen innerhalb der Pop-Generation(s) seit den sechziger Jahren zeugen von Pop-Musik als (emotionales) Mittel zur Eta-blierung von Gruppenidentität und zur Abgrenzung nach außen. Abgesehen von der bewussten Umdeutung von Zeichen ist emotionale Besetztheit dann zugleich von außermusikalischen wie von innermusikalischen Parametern bedingt. Konkret: