2.3 Pop als Stimulans 215 ist. Hohe Intensitäten, hohe Lautstärken wie extreme Klänge wirken grundsätzlich erregend (WUNDT 1874), Dynamik wirkt annähernd synchron auf die Erregung. Acoustic driving ist die unmittelbar durch die syntaktischen Elemente hervorgerufene Aktivierung. Möglicherweise ist es der Signalcharakter von Klang und Klangfolgen – als Relikt eines vorsprachlichen Kommunikationssystems – der auch heute noch physiologisch erregend auf Menschen wirkt. Dass diese physiologische Erregung auch kognitiv als aktivierend erlebt wird und in einen Bedeutungskontext, in soziales Gefüge eingeordnet wird, macht aus Erregung emotionale Bewegtheit und möglicherweise eine Bewegung. Dabei erklärt sich aus der Allgemeinheit der Klang-Erregungs- Koppelung der kommunikatorische Wert und zugleich das Zustandekommen eines Massenphänomens. 2.3.3.4 Erregung als (pop-)musikalische Basisqualität: High intensities – Exciting sounds Bereits WUNDT (1874) stellte auf experimentellem Wege Erregung als Folge von Intensitäten von Stimuli fest. Pop-musikalische Stile nutzen high intensities zur unmittelbaren Erregung als oftmals primären musikalischen Parameter und nicht als Artefakt der Aufführung. Unabhängig von ästhetischen oder anderen Wertungen treten bei Lautstärken über 65 Phon physiologische Reaktionen des Organismus auf, die nicht von psy-chischen Empfindungen begleitet sein müssen. Diese direkte Einwirkung hängt mit der neurophysiologischen Verschaltung von Hörbahn, der phylogenetisch alten formatio reticularis und motorischen Nerven zusammen: Die elektrischen Impulse, hervorgerufen durch die Sinneszellen des Cortischen Organs, üben direkten Einfluss auf jenen Teil des Stammhirns aus, der unter anderem bei der Regulierung von Aktivierung, Wachheit und Emotion eine Rolle spielt. Lautstärkepegel von bis zu 128 dB im Orchesterverband (HAIDER & GROLL-KNAPP 1971) und zwischen 40 dB (pianissimo) und 90 dB (forte – tutti) im Kon-zertsaal (WINCKEL 196210) belegen physiologische Reaktionen beim Hören von Live-Musik bereits aufgrund der Intensität, und dies nicht bei Pop-Konzerten. Dass sich in der Pop-Musik hier gezielt ein musikalischer Parameter Lautstärke her-ausgebildet hat, geht mit dem funktionalen Charakter, der motorischen Wirkung, aber auch mit den sozialen und ökonomischen Faktoren, dem hohen Zustrom zu Massenkonzerten, parallel – mittlerweile eine ästhetische Größe des Pop-Life. Punk und Industrial haben hohe Lautstärken im Verein mit nicht-musikalischen Klängen subversiv gebraucht, haben die futuristische Idee des Geräusches als musi-kalisches Material mit aller Konsequenz etabliert. Mit avantgardistischen Formen haben Glenn BRANCA und Rhys CHATHAM nicht nur ästhetische Grenzen über-schritten: John CAGE bezeichnet die Musik BRANCAs als faschistoid, weil man sich ihr, ob ihrer unmittelbaren körperlichen Wirkung, nicht entziehen könne. Ge-rade dieses Hypnotikum ist im Verein mit spezifischem sozialem Verhalten, der Interpassivität, Haltung der Rave-Culture. 10 Zitiert nach RASCH & PLOMB (1982, S. 11).