2.3 Pop als Stimulans 217 BLAUERT (1974, 1983, 1997) berichtet unterschiedliche subjektive Lokalisations-wahrnehmung auf der Medianebene von objektiv gleich lokalisierten akustischen Ereignissen aufgrund von Klangunterschieden am Trommelfell (verursacht durch die spezifische Gerichtetheit des äußeren Hörapparates). Die emotionale Besetzung solcher Klangfarben soll Aufschluss geben über die mögliche Existenz eines frühen (bezogen auf die menschliche Entwicklungsgeschichte) akustischen Warnsystems. Die unabhängigen Variablen Tonhöhe (im Sprachbereich) und Klangfarbe (wobei die relative Verteilung der Amplituden der Obertöne variiert wurde) gingen neben dem Geschlecht in die Untersuchung ein; gemessen wurde die konnotative Empfin-dung mittels eines semantischen Differentials. Sowohl bei Anhebung der Tonhöhe harmonischer Klänge als auch bei der Zunahme der Amplituden der Obertöne mit steigendem Ordnungsgrad (also bei einem widernatürlichen Verhalten, dem eines excited sounds) steigt die Activity-Empfindung klar an. Diese aktivierende Wirkung von Klängen mit amplitudenstarken hohen Ober-tönen findet sich eindeutig nur bei Männern. Dafür fehlt vorerst eine stimmige Erklärung, denn gerade das Gegenteil war erwartet worden: Aufgrund der allgemei-nen Bevorzugung weicherer Stile, also entsprechend innermusikalischer Elemente, bei Frauen (vgl. Zusammenfassung bei JOST 1982) sollte auch der präferierte Level an Aktivierung niedriger liegen und daher rascher überschritten werden. Ungeachtet einer spekulativen Erklärung der phylogentisch bedingt bedeutsamen Signalwirkung für die männlichen Artgenossen ist die Abgabe extremerer Urteile bei Männern empirisch belegbar. Zur Diskussion der eigenen Ergebnisse muss allerdings eine geringe Streubreite des Merkmals Klangfarbe zugestanden werden. Eine breitere Streuung hätte die gefundene klare Tendenz möglicherweise als signifikante Größe ausgewiesen; auch der Geschlechtsunterschied könnte dann eliminiert sein. Je höher ein Klang ist, desto klarer und glatter wird er wahrgenommen, desto geringer ist seine Potency-Empfindung. Dies dürfte mit der Dichte-Dimension von STEVENS (1934) korrelieren und entspricht auch einer größeren Rauigkeitsemp-findung im tieferen Tonbereich. Der Beitrag von Schwebungen an den Grenzen beim Überschreiten der kritischen Bandbreite der Frequenzgruppe (ZWICKER & TERHARDT 1980) zur Zweitonempfindung im Tieftonbereich, oder wie KRÜGER das psychophysikalische Verhalten unmittelbar musikalisch als verstimmte Primen ausdrückte, sind es, die einen Klang als rau empfinden lassen. In der historischen Dis-kussion um natürliche Grundlagen der Konsonanz macht Hermann v. HELMHOLTZ (1963) die Obertöne, allgemein die Differenztöne, Felix KRUEGER die tiefsten noch hörbaren Differenztöne für nicht-konsonante Empfindungen verantwortlich, denn »jeder dissonante Zweiklang enthält als tiefsten Teil des Klangganzen eine ver-stimmte Prime« (KRUEGER 1903, S. 21). Für Heinrich HUSMANN (1953) sind es die Ohrobertöne, die für Rauigkeitsempfindungen von Zweiklängen verantwortlich sind – allen gemeinsam ist die Fokussierung dieser Wahrnehmung durch Erscheinungen im tiefen Tonbereich. Je mehr distorted ein Klang ist, desto unklarer und rauer wird er erlebt, desto mehr Potency-Empfindung erregt er. Die höhere Anzahl von (nicht immer harmonischen) Obertönen macht auch die Anzahl von Rauigkeitsempfindungen zwischen ihnen wahrscheinlicher. Dies ist wiederum ein wichtiger Hinweis, der die rockmusikalische Praxis stützt, die im Insider-Jargon entsprechend als rough sound artikuliert wird.