2.3 Pop als Stimulans 219 analog, wie das für visuelle Stimuli gilt, jedoch zeitversetzt und nicht so eindeutig. In Übertragung des visuellen Phänomens photic driving, wo Lichtblitze bei zu-oder abnehmender Frequenz sich synchron in der Alpha-Wellen-EEG-Darstellung abbilden, also die Gehirnaktivität steigern, ist die Bezeichnung acoustic driving für die Zunahme der Pulsschlagfrequenz bei Erhöhung des Tempos möglich. Nun ist im musikalischen Spiel die Erhöhung des Tempos mit der Veränderung anderer Parameter gekoppelt, ist in der Musik dieses Konglomerat als Dynamik komponiert – eine erregungssteigernde Gestaltungsgröße. Was hier isoliert betrachtbar erscheint ist im Physikalischen wie im Musikalischen miteinander korreliert. Dynamik ist eine physikalisch bestimmte musikalische Einheit mehrer einzeln beschreibbarer Komponenten, deren Isolation letztlich ein Artefaktum bereits auf der physikalischen Ebene darstellt. Dynamik ist ein komponiertes Konglomerat aus syntaktischen Größen, die als physikalische Parameter miteinander korrelieren. Höhere Lautstärke bedingt schär-feren Klang, weil die Wahrscheinlichkeit der Erregung kleinerer Teilschwingungen durch stärkere Energiezufuhr erhöht ist. Steigerung des Tempos ist spieltechnisch mit zunehmendem Staccato-Effekt, also mit einer Steigerung des perkussiven Klangs und einem höheren Geräuschanteil durch die stärkere Energiezufuhr bestimmt. Die musikalische Komposition berücksichtigt diese physikalischen Aspekte und überhöht sie noch durch Spielanweisungen und das Arrangement, das Setzen von Klangfar-ben. Musikalische Dynamik ist die Formalisierung des Konglomerats physikalischer Eigenschaften und deren Wahrnehmung. Darin liegt ein methodisches Problem der experimentellen Forschung, das letztlich als Gratwanderung zwischen dem Versuch der Isolation artifizieller Parameter in künstlich generierten Stimuli bzw. der Nähe zu komponierter Musik und der leich-teren Generalisierbarkeit je nach Fragestellung zu entscheiden ist. Untersuchungen an komponierter Musik klären letztlich nicht, welche Parameter die gefundenen physiologischen Veränderungen bewirkten. Untersuchungen an artifiziellem Material fokussieren Größen, die aus dem Kontext Musik gelöst für sich wirken. Die Frage nach der Generalisierbarkeit von Ergebnissen aus solchen Untersuchen ist insofern beantwortbar, dass ihre Ergebnisse vermutlich Unterschätzungen des Effekts bei tatsächlich komponierter Musik sind, weil beispielsweise Akzelleration meist mit Lautstärkenzuwachs, schriller werdender Klangfarbe und stetig perkussiver wer-dendem Staccato auftritt; eine von der Natur der Dynamik des Klanges und ihrer Wahrnehmung abgeleitete Regelhaftigkeit der Kompositions- und Spielweise. Diese Akkumulation in der Dynamik bewirkt mehr physiologische Veränderung als die einzelnen Parameter. Die Ergebnisse der Untersuchungen mit einzelnen isolierten Größen markieren somit eher den unteren Wirkbereich. Der Versuch, die Komponenten innerhalb des Gefüges Dynamik zu isolieren, die vorrangig die Erregung bestimmen, ist dennoch ein zulässiger methodischer Versuch ihre Anteile als Wirkgrößen zu erfassen. Die Isolation von Lautstärke und Tempo ist zugleich die Konzentration auf solche Parameter, die bestimmend bei pop-musikalischen, speziell technoiden Formen auftreten. Die Wirkmechanismen sind dann nicht nur erhellend für die Gestaltung dieser Musik, sondern auch für die Gestaltung digitaler Künste, wo syntaktische Elemente nach ihrem Aktivierungswert gereiht werden.