2.3 Pop als Stimulans 221 Musikliteratur. Im Vergleich mit Debussys Nachmittag eines Fauns und Blue Inter-vall zeigen Versuchspersonen während des Anhörens der Ungarischen Rhapsodie eine deutliche Erhöhung der Atemfrequenz, was als physische Erregung gedeutet werden kann. Der Unterschied der Respirationsfrequenz ist plausibel und der analytische Vergleich der beiden Musikstücke gibt eine Ahnung seines Ursprungs. Die verbale Charakterisierung »rhythmisch akzentuiert« bzw. »träge sich dahinwälzend« verleiht dieser Ahnung vorschnell Begrifflichkeit. Die Untersuchung gibt aber keinen exakten Aufschluss darüber, welcher Parameter oder welche Konstellation von Parametern in welcher Weise zu dieser Wirkung beitragen. Eine Untersuchung HARRERs (1975) weist am Beispiel des Hörens der Peer-Gynt-Suite (Nr. 1 In der Halle des Bergkönigs) auf eine Steigerung der Puls- und Atemfrequenz, die mit der Temposteigerung der Musik konform geht. Der Autor spricht bei solchen analogen Phänomenen von einer »relativen oder gleitenden Koordination«. »In der Peer Gynt-Suite Nr. 1 bringt Grieg das rauschhafte, wildgroteske Treiben ›In der Halle des Bergkönigs‹ durch eine äußerst effektvolle Steigerung im Rhythmusablauf zur Darstellung. Die Musik führte bei der Mehrzahl unserer Versuchspersonen zu einem erheblichen Anstieg der Atem- wie auch Pulsfrequenz. Nach Musikende kam es rasch wieder zu einer Rückkehr zu den Ausgangswerten« (HARRER 1975, S. 40). Den (außer-) musikalischen Bezug bewahrend hat ein Experiment durch die Nutzung einer spezifischen musikalischen Erscheinung die methodische Isolation der Klanglichkeit aus einem systemischen innermusikalischen Gefüge erreicht und damit die Prüfung eines Teils der musikalischen Wirkgröße Dynamik geleistet. Das An-und Abschwellen eines Trommelwirbels zeigt ein paralleles Pulsfrequenzverhalten. Die Lautstärkevariation vereint mit entsprechenden klanglichen Veränderungen und solchen des Tempos (Frequenz in der Zeit) sind allein in der Lage, analoge physiologische Veränderungen, die allgemein mit Erregung im Zusammenhang stehen, zu erzeugen, berichtet HARRER (1975). Paralleles Pulsverhalten zeigt sich bei alleiniger Beschleunigung von Metronom-schlägen – also bei musikalisch unbesetzten Klicks – und außerhalb jeglichen mu-sikalischen Kontextes. HARRER (1975) interpretiert, dass dadurch ein mögliches acoustic driving exploriert worden sei, ein Konstrukt, das in Analogie zu dem empi-risch gesicherten photic driving vermutet wurde: Beim Anhören von stetig schneller werdenden Klicks stieg der Pulsschlag nahezu analog dazu an, er verlangsamte sich auch analog bei einer steten Verlangsamung der Klicks. Das puls-driving tritt parallel mit einem Anstieg der Atemfrequenz auf.11 Stroboskopisch dargebotene Lichtblitze verändern synchron die kortikale Aktivie-rung. In Analogie zur synchronen kortikalen Aktivierung durch die Frequenz von stroboskopisch dargebotenen Lichtblitzen beim photic driving ist acoustic driving jener experimentell beobachtbare Effekt, der mit der Dynamik von akustischen 11 Das Argument, die künstlich herbeigeführte Tachykardie sei eine Funktion der steigenden Atemfrequenz, ist nicht stichhaltig, da bei provoziertem Anstieg der Atemfrequenz ohne Musik die Herzfrequenz nicht im gleichen Ausmaß ansteigt wie beim Musik Hören. Zudem gibt es auch Versuchspersonen, bei denen der Anstieg der Atemfrequenz gänzlich ausbleibt. Diese Berichte stellen wichtige Hinweise dafür dar, dass physiologische Maße nicht uneingeschränkt korrelieren, eine landläufige Meinung, deren Konsequenz oft darin besteht, dass in Experimenten nicht das adäquate physiologische Maß, sondern meist das leichter messbare Maß erhoben wird (HARRER 1973).