2.3 Pop als Stimulans 227 Hedonische Interpassivität (WEINZIERL 2000) beschreibt jene Situation des sich lustvollen Hingebens an akustische und visuelle Stimuli in einem Environment, in dem die anderen nicht Agenten einer Kommunikation sind, sondern das Kollektiv nur das eigene Erleben intensiviert (BENJAMIN 1968). »Immersion – Versunkenheit, Eintauchen – Schlüsselwörter des späten 20. Jahr-hunderts. Bass ist immersiv, Echos sind es und Lärm sowieso. Bei einer bestimmten Lautstärke und ab einem gewissen Intensitätsgrad sind die musikalischen Kategorien egal. [. . . ] Wenn Musik vor allem über Schwingungen wahrgenommen wird, die jede Zelle durchdringen, jeden Knochen durchschütteln, dann entgleist der bewußte, analytische Verstand« (TOOP 1997, S. 296) zum Versinken in einem Ocean of Sounds (TOOP 1997) – Techno Environments bauen diese Immersion im Verein mit körperbetonter Kleidung und körpernahem Verhalten als interpersonelle Attraktoren und Verstärker kollektiven körperlichen Erlebens auf. Obwohl die emotionale Bedeutung von Erregung durch Reizeigenschaften prin-zipiell nicht als eine einfache Reiz-Reaktionsverbindung, sondern als letztlich im kognitiven Sinn durch die Bewertung der Erregung im Kontext hervorgerufener Emotionen zu erklären ist, scheint Pop-Musik in einem Gefüge zu funktionieren, wo diese kognitiven Faktoren das Surrounding bieten und musikalische Parameter zu (scheinbaren) Reizen machen. Die enormen Klang-Intensitäten – als ein be-stimmender innermusikalischer Faktor von dissidenter und hedonischer Pop-Musik, als ästhetischer Wirkungsfaktor – kompensieren individuelle physiologische und emotionale Reagibilitätsdefizite und machen Klang tatsächlich zum Stimulus von Erregung13 und der Empfindung von Erregung, zur Erzeugung eines emotionalen Klimas, das wiederum verstärkend auf die emotionale Wahrnehmung der Situation und des Ich führt. Bei aller sozialen Überformung und individuellen Variabilität sowie medialen Verstärkung scheint es eine psychologische Basis für das Erleben von Activity (und die Evaluation) aus dem Klang/Sound, letztlich aus strukturell-aktivierenden Ele-menten zu geben. Pop als emotionales politisches Konzept erzeugt primär diese Erregung, Pop vermittelt klanglich keine (emotionalen) Bedeutungen. Pop-Musik, ihre innermusikalischen Parameter, ihr außermusikalisches Umfeld und ihre in der Genese begründete Funktion der Einordnung des Individuums mit ihren Determi-nanten in das Wir der Gesellschaft stellt nun möglicherweise ein Funktionsgefüge dar – beschreibbar mit dem Determinantenmodell der musikalischen Rezeption (ROSS 1983) –, das entweder zur Entspannung oder zum Aufwiegeln (unterstützend) Verwendung findet bzw. zur Initiation solcher emotionaler Zustände von Subgroups entworfen oder von der Wirtschaft produziert wird. Musik wirkt als ein Medium, in dem sich emotionale Konzepte einer Kultur bilden bzw. diese durch sie gebildet werden. Dies bedingt die konsequente innermusikalische Analyse von Pop-Musik als sounddominierter Musik und (damit) ihrer funktionalen Bezüge – eine Abkehr vom sprachorientierten Denken hochkultureller artifizieller Musik; selbst semiotische Extensionen strukturalistischer Ansätze fokussieren letztlich den Transport von 13 Vergleiche die avantgardistischen Experimente von High-Intensity-Music von Glenn Branca und Rhys Chatham und die »andere Avantgarde« (HOFFMANN 2002) des Industrial und Punk sowie High-Energy als Stil der Disco-Music.