2.3 Pop als Stimulans 233 sozialer und kultureller Lernprozesse) erhält der körperliche Ausdruck gestische Bedeutung, wird die Sprache des Körpers codiert. Dass Gesten nicht direkt unmittelbaren körperlichen Ausdruck beanspruchen können, sondern selbst bereits als Codierungen zu werten sind, zeigt ihre Diskussion in der Rhetorik. Benjamin beschreibt den Prozess der Codierung als Geste am Beispiel des Theaters. Die Funktion der Geste ist die Verschiebung vom authentifizierenden Ausdruck in einen Modus der Demonstration im Sinne von Brechts Programm der Verfremdung (vgl. HEINZE 1992): Im epischen Theater verweisen die Gesten nicht auf den inneren Zustand des Schauspielers, sondern auf ihren eigenen Status als theatrale Zeichen. Sie sind ein Zeigen des Zeigens und zitieren sich quasi selbst (PETHES 1999): »›Gesten zitierbar machen‹ ist die wichtigste Leistung des Schauspielers; seine Gebärden muß er sperren können wie ein Setzer die Worte« (BENJAMIN 1972–1989, S. 529). Ähnliches dürfte für die Interpretation als das Spielen der musikalischen Geste gelten: Originäres und Pop-Musikalisches erhält durch die Konvention zusätzlich zur unmittelbar funktionalen Kommunikation die Qualität gestischer Vermittlung. Mit dieser Codierung erhält Klang möglicherweise seine Bedeutung; die Funktion zu erregen trägt er stets in sich. Damit ist er ein Katalysator eines emotionalen Klimas, eines emotionalen politischen Konzepts und tritt hier bereits in die ge-sellschaftliche Welt ein. Im Unterschied zum Sprachklang, so SHEPHERD (1992), könne der Klang in der Musik inhaltliche Bedeutung annehmen, jedoch: Hinsichtlich der Erzeugung von emotionalen Zuständen ist die Willkürlichkeit eingeschränkt. Mit der Erregungskomponente von Emotion verbunden erzeugt Klang wiederum Erregung/Bewegtheit. Pop-Musik verfolgt nur in ihren Phasen der Übernahme artifiziellen musikalischen Denkens eine sprachorientierte Logik; was als dominant erscheint ist Folge des Diskurses, nicht der gelebten Praxis von Pop. Primär ist Pop funktional, sein Sound ist nicht ein Zeichen, das Erregung vermittelt oder in sich trägt, er ist Teil einer Handlung, die auf Erregung basiert, und wird in der Rezeption zu einer solchen Handlung. Hörer »identifizieren sich mit der motorischen Struktur, partizipieren an den gestischen Mustern [. . . ] sogar physisch, durch Tanzen oder durch Nachahmung des stimmlichen oder instrumentalen Vortrages« (MIDDLETON 1990, S. 243). Dies spricht dafür, dass wir es in diesen Entsprechungen weniger mit Bedeutung zu tun haben, als mit den Prozessen selbst, weniger mit Zeichen als mit Aktionen. Die Annahme der Allgemeingültigkeit betreffend die Koppelung von Emotion und emotionaler Musikwahrnehmung mit bestimmten körperlichen Verhaltensweisen lässt sich durch die experimentelle Forschungen auch in unterschiedlichen Kulturen stützen. CLYNES (1982) berichtet hohe interkulturelle Gemeinsamkeit Verlaufsform von taktil ausgedrückten Gefühlen bei Mexikanern, Japanern, Balinesen und Ame-rikanern. Die kommunikative Funktion erklärt der Autor in Parallele mit einem Schlüssel-Schloss-System; die eigene Erfahrung entsprechender (basaler) emotionaler Körper(e)regungen und -handlungen sind dafür die Basis. Sentic-forms finden sich auch bei der emotionalen Wahrnehmung von Musik. CLYNES’ (1977) Sentograph misst primär die Dauer und Dynamik von Gefühlen, indiziert über den Fingerdruck. Er misst den Ausdruck mit Fingerspitzen(gefühl) in Form verhaltensnaher Operationalisierung der konnotativen Qualität von meist