2.4 Pop als Sound-Musik 239 einem horizontalen Netzwerk von Musikern zur dynamischen Kompositionsform – der formellen Struktur des Werkes tritt die informelle Strukturierung aus Kommu-nikation entgegen. Mit der Überwindung der Gegensätze zwischen Bourgeoisie und Arbeiter im Prozess der Demokratisierung, der Gegensätzlichkeit von Geist versus Körper durch Informalisierung des idealistischen Denkens werden vertikale Gesellschaftsstruktu-rierungen zunehmend zu horizontalen, werden an Tradition gebundene und darin gerechtfertigt verordnete gesellschaftliche Normen zunehmend selbstorganisierend geformt. Pop ist jene kulturelle Praxis, in der dieser gesellschaftliche Wandel als Körperkultur und die Umbewertung der Dominanz von Ratio zu Emotion kulminiert. Mit der Instrumentarisierung der unmittelbar körperlichen Ausdrucks- und Kom-munikationsformen, der unmediatisierten, unverbildeten Musizierart des Pop, dem originären Musizieren, korreliert seine amateuristische Existenz, eine der Dimensio-nen des Populären (WICKE 1992). Gemeinsam mit technischer (Machbarkeit und wirtschaftlicher) Verfügbarkeit (RÖSING 1996) wird dieses Musizieren eine Kultur-technik für jedermann, eine allgemeine Kulturpraxis (werden), wie das Schreiben (KLUG 2001). Die Neue Musik – gerade Pop – setzten dem von einzelnen Schöpfer gesetzten, vollendeten Werk horizontal kollektiv musizierende Klangformung entgegen, dem Sprachverständnis von Musik den emotionalen Ausdruck und damit dem Übertragen von Zeichen in Klängen die unmittelbar klanggenerierende Körperaktion. Hat die Schrift aus dem Musizieren vermittelte Musik gemacht, so macht nun Technologie wieder unmittelbares Musizieren und seine Konservierung möglich. Dieser Fortschritt als der Schritt zurück im Prozess der Mediatisierung (als Ent-fernung von der Körperlichkeit) ist einerseits eine Besinnung auf die Sinnlichkeit von Musik, weg von der Vermittlung von Bedeutungen hin zur Erregung körperlicher Empfindung (vgl. die mit dem Ausdruckslaut wie dem Ausdrucksverhalten perfor-mende Meredith MONK), andererseits eine durch die Entwicklung von Technologien ermöglichte Extension des körperlichen Verhaltens. Dies ist sowohl der bewusste Rückgriff auf originäres Musizieren (konsequenterweise vor allem mit der Stimme) als auch die Reduktion auf Instrumentarisierung/Prothetisierung körpereigener Möglichkeiten der Klangerzeugung unter bewusster Ausschaltung von Medien. Die Verlängerung mechanistischer Fertigkeiten führt letztlich zur Auslagerung in eine Tätigkeit von Maschinen, in maschinelle, mechanische Prozesse und die willkürli-che Strukturierung von Codes. Es treten zunehmend hedonische Fähigkeiten des Körpers zur Gestaltung in den Vordergrund – digitale Kultur wird dann die hedo-nische Strukturierung willkürlicher Ereignisse, solcher Ereignisse, die abseits der Vorstellungen liegen, die wir aus der Erfahrung der Körper-Umwelt-Interaktion als mechanistisches Denken mitnehmen. Hedonismus tritt als Regulativ ins Zentrum, der Körper wird nicht unnütz (BAUDRILLARD 1981), er wird ein vom Primat des Mechanistischen zum Hedonistischen redefined body (JAUK 2003a). Weist sich Pop in seiner Rezeption wie Generierung als gering mediatisierte hedonische Musizierform aus, so ist digital culture angewiesen auf das Hedonistische als Regulativ der Willkürlichkeit – Paradigmata, die komponierte Musik aus der Mediatisierung des Musizierens zur Vor-Schrift erklären ebenso wie Paradigmata von Pop, die gerade den Rückschritt dieses Prozesses zur Körperlichkeit als wesen-