2.5 Pop ist instrumentarisierte körperliche Soundarbeit 253 Gehabe des Gitarren-Rock’n’Roll, wird zu orchesterbezogener durchkomponierter Pop-Musik.18 George Martin, Tontechniker und Oboist, kam aus der bürgerlichen Hochkultur und hat ihre musikalische Haltung nie abgelegt; er hat sie dem (dafür mehr als dem amerikanischen Mulatten Rock’n’Roll anfälligen) liedhaften britischen Beat überge-stülpt. Im bürgerlichen Intellektualismus der späten sechziger Jahre, dessen Basis selbst die Abstammung eines Musikers aus ernstem Musikerhaus als qualitativen Vorteil wertet,19 fand er nicht nur innerhalb seiner Gruppe Mitbeweger für sein Tun. Den Happy-Sound der frühen sechziger Jahre, wo Rock’n’Roll mit dem Skiffle-Lied eine Synthese einging, bezeichnet George MARTIN als primär wirtschaftlich moti-viert. »Sgt.Pepper20 trieb einen mächtigen Keil in das Herz der britischen Popmusik; viele betrachten das Album heute als die Wasserscheide. Indem sie sich selbst (und mich) sechs Monate lang im Studio einschlossen und ihr Ding machten, stellten die Beatles all das in Frage, was die anderen in diesem Geschäft taten. Die Frage lautete: Machst du Musik oder einfach bloß Geld? Bläst du einen musikalischen Kaugummi auf, oder spielst du Rock mit einem harten Kern? Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Beatles wohl eher Kaugummikünstler gewesen. Mit Sgt.Pepper markierten sie eine Grenze und überschritten sie gleichsam« (George MARTIN 1997, S. 11) Jener weiße Art-Rock, der musikalische und klangliche Ikonen klassischer Musik importierte und Adaptionen solcher Musik anfertigte, findet in ihm seinen Vater. Zugleich ist Martin unbestritten der Initiator jener Klangarbeit in der Pop-Musik, die das Studio als Instrument etablierte. Diese Art der Differenzierung zwischen kommerziellem und künstlerischem Pro-dukt ist heute sicherlich zweifelhaft, auch damals war sie (von den Musikern) nicht intendiert. »Die Beatles selbst haben nie behauptet, daß Sgt.Pepper wahre Kunst sei, und sie haben auch nie irgendeine Form von musikalischer ›Integrität‹ angestrebt. Sie wollten einfach nur etwas anderes machen, und Sgt.Pepper war etwas anderes. Heutzutage, da Rockmusik in ihrer neuen Gestalt kommerziell ausgeschlachtet wird, 18 Martin war auch der Mann hinter Matt Monro, der frühen britischen Nachbildung der amerikanischen Sänger wie Sinatra und Nat Cole, der, »arranged and conducted by George Martin«, »embraced beautiful ballads like Yesterday and Michelle, pointing the way, early on, to the worldwide acceptance of the Liverpool lads« (Gerald MAHLOWE 1996, Text zur CD the very best of matt monro). 19 Am Plattencover (Atlantic ATL 40 022) von In-A-Gadda-Da-Vida der Gruppe Iron Butterfly sind die Texte Zeugnis jenes amerikanischen Verständnisses von rockmusikalischer Qualität argumentiert aus dem Begriffsreservoir bürgerlicher Mittelstands-Hochkultur. Die Gruppe sei aus dem L. A.-Underground von »hip young local fans who listen and keep up on new sounds and trends« ob dieses »new sound created« heraus getragen worden. Allgemein werden die Musiker als »unique musical talents« bezeichnet und mit »musical genius« attribuiert. Die Gruppe besteht aus einem Kind-Genie: Erik Brann ist »One of the most talented young lead guitarists in the country, his musical training began before school and by the time he was seven years of age, he was a concert violinist.« Der Bassist Lee Dormna ist »the deepest thinker«, dessen »musical training goes back to hid pre-teen years«, was sich in »unique arranging ideas« manifestiert. Die Orgel ist das Instrument der Kirche und des entkörperlichten göttlichen Geistes: »Doug’s [Ingle] father was a church organist and much of the classical influence of the church is evident in his writing and playing.« Es spielt eine geringe Rolle, ob diese Zuschreibungen unreflektiert oder bewusst benutzend aus marktwirtschaftlichen Interessen gemacht wurden. Sie basieren auf Haltungen und verstärken diese zu allgemein akzeptierten und gedachten Einstellungen. 20 Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band, Beatles (1967) EMI: London