2.6 Stufen der Unmittelbarkeit des Musizierens im Pop 257 syntaktischen Elemente (BERLYNE 1970, 1971, 1974) nun mit der Formung des entmediatisierten Klangs über Interfaces zurück zum unmittelbaren körperlichen Ausdruck als Gestaltungskraft. In der Rezeption haben die neuen Technologien durch die Möglichkeit der Übertra-gung die Lösung von der Örtlichkeit des Musikereignisses gebracht; die Speicherung löst die Klanggestalt von ihrer zeitlichen Flüchtigkeit; die vernetzten Medien ermög-lichen den gezielt auswählenden, körperlich passiven Konsum – der mechanische Körper wird unnütz (BAUDRILLARD 1981) bezogen auf die Notwendigkeit, sich zu einem Musikereignis zu bewegen, das zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem entfernten Ort erklingt. Mit den Medientechnologien ist neue Musik entstanden, mutieren die Formen des Musizierens mehrmals. Die elektronische Musik, die musique concrète und schließlich die auf der Ebene der Codes operierende Computer-Musik. Die Realtime- Konvertierung und Entwicklung entsprechender Instrumente (Interfaces) ermöglichte dann direkte kompositorische Arbeit am digitalen Klang. Entstand zuvor mit der zeichenhaften Schrift das Werk, losgelöst vom Musizieren, geht nun scheinbar diese Entwicklung zurück zum Musizieren – elektronische Musik von heute funktioniert eher nach dem Modell des Musizierens denn nach jenem der Musik. Damit haben sich diese Formen von Musik aus dem Kontext der von zeichenhaften Sprachvorstellungen dominierten Werkmusik heraus gelöst und sich in die Nähe des pop-musikalischen, ausdruckshaften Musizierens begeben – zugleich haben sich über die gemeinsame Klangdominanz Pop und elektronische Musik genähert – beide nutzen den immersiven Charakter von Klang und Klangraum. Mit maschinellen Pro-zessen sind serielle Techniken in den Pop gedrungen, den Body-Interfaces dient das körperhafte Musizieren des Pop, die Instrumentarisierung des Ausdrucksverhaltens, als Modell. In den Erscheinungs- und Distributionsformen haben sich schließlich die Funktio-nen verändert. Bereits die Walze, dann die Schallplatte, der digitale Sample und das Net dienen nicht bloß der Konservierung und Vermittlung, sie sind Instrumen-te des Musizierens geworden, im analogen Sampling des DJ-ing, im digitalen des Techno und der Net-Art – wo systemisches, kommunikatives Gestalten im internen, aufeinender Bezogensein von Musik ihre Objektivation findet, wie Polyphonie die Objektivation des Wir ist (ADORNO 1947). Zunehmend verwachsen mit dem modernen Forschrittsdenken der Avantgarden die körperorientierten Haltungen des Pop: Hier sind auch nicht nur die Berüh-rungspunkte, hier infiltriert der körperhafte und hedonische Pop die mechanistisch geregelte, maschinelle Welt der Avantgarden, hier entstand eine »andere Avantgarde« (HOFFMANN 2002); hier besinnt man sich auch des perfomativen Körpers (BECK 2004), der Pop-Musizieren bestimmt (vgl. JAUK 2002b). In seiner unmittelbarsten Form ist das Pop-Instrumentarium die Nutzung des Ausdruckslauts, die »Mimesis [. . . ] der [unausgebildeten] kleinen, kaputten Stimm-chen « (DIEDERICHSEN 1996, S. 107) meist in erregender Art mit dem Gestus der »heraushängende[n] Zunge« (Greil MARCUS 1989, S. 19), zugleich das WARHOL’sche Signe der Rolling Stones. Die Extension der Stimme und des Ausdruckslautes findet sich in der elektrischen Gitarre, ihre Weiterführung in der Spielweise und Klangwelt des Synthesizers. Entkörperlichung tritt dann mit dem Studio als Instru-