260 The exciting Sound of Pop Gitarristen ist nicht nur die Extension des emotionalen stimmlichen Ausdrucks, die Musiker spielen zunehmend aus dem körperlichen Ausdrucksverhalten. Die gestische showmäßige Überhöhung entkräftet diese Prinzip nicht. Melodisch stimm- und bläserdominiert ist der double bass das Bindeglied zur rhythmischen Basis des Rock’n’Roll, die vom durchgehend den Beat spielenden Schlagzeug getragen und von den Riffs der Bläser pointiert wird. Direkt aus dem großen Jazzorchester übernommen dient der Bläsersatz dabei nur mehr zur rhyth-mischen und harmonischen Verzierung und Akzentuierung, wo hingegen die Bläser im Jazz-Orchester im gesetzten Zueinander die harmonisch-rhythmische Struktur getragen haben, die Rollen haben sich verändert. Die einzelnen Instrumente sind zudem nicht mehr chorisch besetzt. Schlagzeug und Bläser sind laute, unverstärkte Instrumente, die deswegen im Hintergrund unverstärkt gespielt werden. Die ob der geringen Lautstärke akkordisch gespielte und ob ihrer primär perkussiven Eigenschaften angeschlagen gespielte Resonanzgitarre wird zum (harmonisch stützenden) Rhythmusinstrument. In der wesentlich aus dem Oberkrainer – Arrangement hervor gegangenen volkstümlichen Musik wird heute wiederum die fast tonhöhenlose Rhythmisierung der Gitarre verwendet, ähnlich der Skiffle-Groups der frühen sechziger Jahre in Großbritannien. Über das lautere, akkordisch-solistische Spiel, die elektroakustische Verstärkung und die Entwicklung der sustainreichen und rückkoppelungsarmen Solid-Body- Guitar tritt die Gitarre als das amateuristische Instrument zunehmend in den Vordergrund und werden die Blasinstrumente in ihrer Solofunktion verdrängt – diese neue Gitarre erlaubt dann auch ein besser kontrolliert körperorientiertes Spiel. Vorerst bleibt der unmittelbare emotionale Ausdruck der Stimme vorbehalten, et-wa der lasziv schwarzen männlichen Stimme mit entsprechendem Ausdrucksverhalten. Verbindet Chuck Berry die Stimme mit Ausdrucksverhalten und instrumentarisiert diese bluesbasierte Kombination in seinem Spiel, das für viele Generationen von Gitarristen vorbildhaft wirkt, so ist die Stimme des »white nigger« Elvis Presley primär körperlich getragen und die Gitarre bloßes Accessoire, stummes Zeichen des Rock’n’Roll-Musikers. Hier kündigt sich der große Umbruch zur jugendlichen Körpermusik an. In der Unmittelbarkeit des stimmlichen Ausdrucks und seiner Extension im Sound der Gitarre (sowie der Instrumentarisierung des entsprechenden körperlichen Ausdrucksverhaltens im Spiel der Gitarre) werden sich jene klanglich erregten Konnotationen im Pop der sechziger Jahren finden, die mit der weißen Gegenhaltung wie mit dem (vorerst) schwarzen Hedonismus klanglich funktional verbunden sind, die in Mutationen die Pop-Bewegung bis heute bestimmen. 2.6.2 Der aufreizende Sound der schwarzen Musik Die Klangdominanz der Rock und Pop-Musik ist – gemeinsam mit der Dominanz rhythmischer Einheiten – aus ihrer Funktion erklärbar, der Rückholung der wei-ßen Jugendlichen von den schwarzen Sendern im Amerika der fünfziger Jahre – Projektionsfläche für imaginierte Nähe des Ausgeschlossen-Seins sowie hedonischer Lebenshaltung. Zuerst wurde weiße Country-Music mit schwarzen Elementen an-gereichert, später wurde schwarze Musik von Schwarzen für ein weißes Publikum produziert. Insgesamt drang zunehmend schwarzes Feeling in die weiße Kultur ein.