2.6 Stufen der Unmittelbarkeit des Musizierens im Pop 263 wurde sie aus dem funktionalen Rahmen der schwarzen Kirche in den Tanzsaal und auf die Platte gebracht – Little Richard verkörpert diese Transformation. Die Stimme ist in ihrer unmediatisierten, emotionalen Kommunikationsform das originäre Instrument des Pop. Aus der Auswertung der Frequenzspektren und der Zeitverläufe des akustischen Signals sowie der Einschätzung der emotionalen Zuständlichkeit nachweisbar, sind Stimmgebung und Artikulation Ausdruck der Erregung (SCHERER 1986, 1991, ZENTNER & SCHERER 1998) und sie konnotieren Direktheit, Nähe und Intimität (MIDDLETON 1990, S. 262); der Stimmklang wirkt insofern politisch, da er, aus Bewegtheit/Bewegung hervor gegangen, ob der All-gemeingültigkeit und Nähe ein Bewegtsein von Individuen hervorrufen kann. Die Nähe bewirkt einen Mitzieheffekt, der wiederum als Prozess der identitätsstiftenden Kollektivierung (TARDE 1890, BENJAMIN 1968, BLACKING 1977, STACK 1987, VESTER 1991) die Herausbildung von Bewegungen begünstigen kann. Beobachtung von erregter Bewegung führe zu erregter Bewegung, beschreibt das ideomotorische Gesetz (CARPENTER 1852). Basis einer emotionalen und moto-rischen Massenerscheinung ist die Erfahrung der eigenen körperlichen Spannung und entsprechender Bewegung und emotionaler Paraerscheinungen, die mimetische Aneignung der Kommunikation der Körper-Erregungs-Koppelung; Klang ist wie Verhalten Teil dieser Koppelung. Der (Stimm-) Klang ist (primäres) Medium zur Erzeugung des emotionalen Konzepts einer Bewegung. In der allen Menschen gemeinsamen basalen klanglichen Ausdrucksform liegt ihr kommunikativer Wert. Als Teil des widerständigen Auf-schreis wurde ihre unverbildete Form auch Zeichen der Authentizität dessen, was allgemein die Grundhaltung des aufklärerischen Pop ist, der Gegenhaltung. Greil MARCUS beschreibt die Stimme Johnny Rottens als zur Identifikation auffordernden klanglichen Teil eines emotionalen Konzepts und damit als politische Agitation: sie war »eine Stimme, die sämtliche gesellschaftliche Faktoren leugnete und dadurch beteuerte, dass alles möglich war,« [eine Stimme, die bewegend klang, die Identifikation erlaubte, indem sie] »für jeden verfügbar zu sein schien, der sich traute, sie zu benutzen.« Die Kraft, die in dieser Stimme steckte, war »die Zauberkraft, bei der die Koppelung bestimmter gesellschaftlicher Faktoren an bestimmte Sounds unwiderstehliche Symbole der Veränderung gesellschaftlicher Realität schafft« (MARCUS 1989, S. 8). Zusätzlich zur wirkungspsychologisch erklär- und fassbaren, erregenden und darin politischen Qualität des Stimmklanges hat die kleine Stimme durch den Pop eine politische Stimme bekommen, vorrangig durch die (ikonische) Zeichensetzung im britischen Amateurismus, indem die jugendliche Stimme Öffentlichkeit gewann, wie durch den in der Haltung der literarischen Beatniks verwurzelten Folk, der sich über das laute Medium Pop Gehör verschaffte. Diese öffentlichen Stimmen wurden zugleich zu Repräsentanten wie zu Idolen eigener politischer Bedürfnisse. Pop-Musik ist das Supplement des Parlamentarismus. Beide glauben an den Repräsentanten der Masse, an seine Stimme, an sein Votum. »Popmusik leistet die ästhetische Kritik des Parlamentarismus und funktioniert so als Supplement. Wo im parlamentarischen Präsentationsakt konkrete Stimmen zum Schweigen gebracht werden, da erlaubt Pop ihre erneute – und diesmal elektronisch verstärkte – Artikulation. Die verschiedenen Äußerungsformen und Stile der Popmusik lassen