2.6 Stufen der Unmittelbarkeit des Musizierens im Pop 265 personifiziert und zur Identifikation und so zur stellvertretenden Handlung einlädt. Pop-Musik holt aber ihre politische Wirkkraft gerade nicht aus der Zerstörung der Repräsentation, sondern seiner Infragestellung – damit wird das ästhetische Feld zum politischen: »Pop-Musik ist eine ästhetische Kritik an den Problemen des Parlamentarismus. [. . . ] Diese ästhetische Kritik zielt allerdings auf einen politi-schen Mißstand, den eigentlich nur ästhetische Erfahrung wirksam kritisieren kann: Repräsentation. In der Kritik der Repräsentation wird die Ästhetik politisch, ohne politische Vorschläge zu machen« (DIEDERICHSEN 1996, S. 113). Für DIEDERICHSEN ist die Stimme das Sprachrohr der Jugendbewegung. Er sieht in der Emanzipation der »kleinen« Stimme die Entwicklung eines auf Individualität gegründeten Parlamentarismus – eine alternative Basisdemokratie? Vor der Geburtsstunde des Rock’n’Roll, waren es de facto Stimmlose, die ihre Stimme an die eigene (schwarze) Öffentlichkeit erhoben. Hier fand keine Rhetorik Platz, sondern die direkte, unverschönte Vermittlung von selbst erlebten Inhalten, keine kunstvolle Ver-Dichtung. Allerdings, die Blues-Sänger setzten ihre Stimmen nicht ein und richteten diese an ein Massenpublikum, sie wurden von Weißen aufge-nommen als technisch kartographierte, blinde Flecken der kulturellen Landschaft. Die Motive dieses Tuns mögen als ein kollektives schlechtes Gewissen aufgrund von Sklaverei und Unterdrückung, eine Rehabilitation nach kultureller Kolonialisie-rung gewertet werden. Staatliche Institutionen aus den Bereichen der Ethnologie, Soziologie der Rassismusforschung, absolutierten ihre Schuld in der Musealisie-rung oder aber sie wirkten als affirmative Institutionen des Kapitalismus, die den neu zu beackernden Boden erforschten, um für eine noch reichere Ernte zu säen. Jedenfalls: diese Zuwendung brachte die Beachtung schwarzer Musik durch die weißen Jugendlichen. Erstmals drang eine ungebildete, direkte Stimme in die weiße Öffentlichkeit. Die Rocker der fünfziger Jahre und die an ihnen geschulten Musiker des Beat der frühen sechziger Jahre sangen nach dem Vorbild dieser Blues-Sänger. Bob DYLAN erhob seine kaputte Stimme und distribuierte »sein narzisstisches Verhält-nis zu seiner Gebrochenheit, zu seiner kaputten Stimme« (DIEDERICHSEN 1996, S. 105). Zusätzlich zu seinen aufklärerischen Botschaften ist es die ikonisch rotzige, unausgebildete Stimme, die diesen Ausdruck verleiht; das Subjektive des Klangs seiner Stimme setzt einen Demokratisierungsprozess über die Emanzipation der Artikulation des eigenen, unverbildeten Seins in Gang. Dies geschieht durch den über die Skiffle-Ideologie in die britische Rockszene eingedrungenen und mit ihm verbreiteten und aufgewerteten Amateurismus. Hier erfolgt eine Umbewertung der Individualität als Ursache wie Ausdruck eines Prozesses zur Entwicklung der basalen Demokratisierung und Informalisierung. Vor der ikonischen Stimme von DYLAN verhalf die Verstärkung der dünnen, leisen Stimme der (ihrer Intention wie ihrem Gehabe nach aufklärerischen) Be-Lehrerin Joan BAEZ ihren Inhalten zu Gehör. Technik diente als Mittel, um das unangepasst Leise lautstark zu machen; dabei erfüllte Technik eine pragmatische Zeichenfunktion und wurde Pop zum Medium. Abseits der romantischen Verklärung von Technologie und Lautstärke, wie dies in der Inszenierung von Verstärkertechnologie im Film Pink Floyd in Pompeji zeichenhaft