266 The exciting Sound of Pop gesetzt wurde, ist im Folk die Bezeichnung public address für Lautsprecheranlagen26 adäquat: Der Folk richtete seine Stimme verstärkt an die Öffentlichkeit. Die Band der sechziger Jahre stilisiert den Wir-Gedanken, der der kleinen dünnen Stimme Geborgenheit unter Gleichen ermöglichte. Musikalisch tritt die Stimme seltener als Soloinstrument hervor, der chorische Stil des Beat Liverpool’scher Herkunft, der in Manchester (z. B. durch die Hollies) perfektioniert wurde, findet darin seine ästhetische Entsprechung: es ist das Üben von Individualität in der emotionalen Sicherheit der Gruppe, im Wir. DIEDERICHSEN wertet das Ich im Wir als Anachronismus: »In dieser Umgebung hat die kleine, kaputte Stimme ihre größten Erfolge. Sie wird sicher. Sie wird groß. Sie wird hegemonial. Sie wird schließlich das Maß der modernen Unterdrückung (Authentizität = Unterwerfung der Individuen unter ein Identitätsprinzip, das sie besser kontrollierbar, seggregierbar macht), während sie sich immer noch für die Befreiung (Authentizität = Selbstverwirklichung) hält« (DIEDERICHSEN 1996, S. 106). Auf instrumentaler Ebene vollzieht sich Ähnliches. Das gegenseitige Stützen verliert sich zu Ende der sechziger Jahre im jazznahen, freien kollektiven Spiel von Solisten, wo nicht einmal mehr Absprache zum Gemeinsamen führt, sondern bloß die Anerkennung einer einzigen vorgegebenen Struktur, der harmonikal bedingte Ablauf des Blues, die ein Kommunizieren miteinander erlaubt – freilich, die Avant-garde des Free Jazz hat völlig ungeregeltes Miteinander bereits in den fünfziger Jahren erprobt und damit anarchische Demokratisierung, jedenfalls völlig informelle Strukturierungsformen erkundet. Die Super-Groups der späten sechziger Jahre – aus individuellen Virtuosen (Stars anderer Gruppen – ein Widerspruch in sich) zum kommerziellen Erfolg zusammengestellt – zerstört diese Wir-Haltung, die ADORNO (1947) als der Musik eigen bereits in der Polyphonie objektiviert sah. Die Stimme und die Rockideologie fanden ihren ersten Sieg in der Außerparla-mentarischen Opposition: »Dylan und Lennon waren fraglos die wahren Anführer des Gedankens der Außerparlamentarischen Opposition. Sie machten vor, wie aus wackeligen Stimmen per elektronischer Selbstermächtigung laute mächtige Stimmen werden konnten, die dennoch keine neuen rhetorischen Machtstimmen sein mußten« (DIEDERICHSEN 1996, S. 106–107). Janis JOPLIN kopierte das Männliche, NICO und Julie DRISCOLL machten die dünne Stimme zum Stil, Nico konzeptuell, Driscoll kulinarischer (DIEDERICHSEN 1996, S. 107ff.) Sie waren intellektuelle Vertreterinnen jener kleinen weiblichen Stimme und stilisierten diese; sie wirkten damit explizit emanzipatorisch. DIEDERICHSEN (1996) sieht die politische Funktion der kleinen Stimme als kulturelles Zeichen einer Gegenhaltung, die über ästhetische Prozesse politische bewirke. HÖLLER (1996) wertet den Sound der Stimme ähnlich als Zeichen, als ästhetische Ausformung einer anderen Realität. Beide Autoren sehen nicht nur in der Aussage der Stimme, sondern im Ausdruck die politische Kraft, bei HÖLLER ist es die interne Struktur des Sounds, die politisch wirke. Ist mit dem Zeichen und den Repräsentanten die mediale Funktion angesprochen, so nähert sich die Annahme der Struktur des Sound als politische Größe einer ästhetischen Parallelexistenz oder Objektivation nicht-ästhetischer Existenz; diese kann wiederum weitergeführt werden in eine funktionale Sicht des Bezugs zwischen 26 Im Gegensatz zur klangmachenden Verstärkung von (vorzugsweise Saiten-) Instrumenten