2.6 Stufen der Unmittelbarkeit des Musizierens im Pop 279 Klangbreite liegt in der Nähe der Klangwelt des Art-Rock der späten sechziger und frühen siebziger Jahre – weißer, romantisch geprägter Tutti-Klang ist sein nicht artikuliertes Vorbild; WALSER (1993) beschreibt solche klanglichen Nähen trotz ideologischer Differenzen. Im Gegensatz zum Rock’n’Roll der fünfziger Jahre ist die Gitarre im Mersey-Beat das Hauptinstrument, ihr Einsatz ist primär rhythmisch, akkordisch. Somit ist das den Sound dominierende Instrument vorerst nicht die Lead-Gitarre, sondern die geschlagene Rhythmusgitarre. Die sekundäre solistische Funktion einer meist zweiten Gitarre beschränkt sich auf das (rhythmisiert) aufgelöste Spiel von Akkorden bzw. auf das Spielen rhythmischer Akzente in kurzen Breaks und Riffs, ähnlich den Bläserparts der kleinen Jazz-Combo der früheren Dekade. Kurze solistische Parts werden meist akkordisch oder aus den Akkorden heraus, jedoch (noch) nicht in Single-Note-Lines gespielt; dies ist der Spieltradition der aus dem Jazz kommenden, verstärkten Gitarre entnommen, die ihrerseits durch die akustischen Eigenschaften der Vollresonanz-E-Gitarre motiviert ist; selbst die solistischen Parts unterstreichen den eher rhythmisierenden Einsatz der E-Gitarre im Mersey-Beat. Sowohl bei den Beatles (in den Anfangsjahren) als auch bei anderen Gruppen des Mersey-Beat findet die akustische Rhythmusgitarre Platz, möglicherweise ein direktes Relikt des Skiffle Ensembles, einer Wurzel des Mersey-Beat. Sie wird dann bei den Kinks (Proponenten der Dandies) und schließlich in der extremeren, weicheren Ausformung dieses Klangbildes im Manchester-Sound stilbildend, beispielsweise im harmonischen von akustischen Gitarren getragenen und gesangsdominierten Beat der Hollies. Die Spielweise und damit ihre ästhetische Wirkung der Gitarre verändert sich einerseits mit zunehmender Lautstärke, die für die Beschallung immer größerer (Tanz-) Säle notwendig wurde und der damit verbundenen, erhöhten Verzerrung. Die schnelle Rhythmisierung war deswegen nicht mehr möglich, weil die rhythmischen Akzente durch die Verzerrung verschwommen waren und starke Interferenzen der angeschlagenen 6 Saiten und eventuell nachklingender leerer Saiten gegeben war. Zudem drang im Wechselspiel um den kommerziellen Erfolg aus der Londoner Szene eine andere Funktion der Gitarre in den Beat ein, wie umgekehrt sich die Londoner Szene an der Gitarren-Gruppe orientierte – letztlich kommt es in der Mitte der sechziger Jahre zu einer Verschmelzung beider klanglichen Stile. R & B-Gruppen, die nun mit Beat-Besetzung spielten, mussten ihr traditionelles Vorbild, den Blues (Vo-kalmusik mit parallel gespielter akkordischer Gitarre oder Klavier), weit verlassen. Die Gitarre übernimmt als Schlag-Gitarre zum Teil rein begleitende und rhythmi-sierende Funktion und stärkt darin das Schlagzeug und die mit hartem (klaren oder angezerrten) Klang gespielte Bass-Gitarre (die auch manchmal akkordisch gespielt wurde). Andererseits dringt als direkte Übernahme der Blues-Gitarre, die harmoni-sche, rhythmische und solistische Funktion zugleich hatte, das Unisono-Spiel mit der Stimme, zugleich ihre instrumentale Weiterführung aber auch das dialogische Spiel mit der solistischen Gitarre in den Beat. Diese Gitarre spielt aus der Gesangsmelodie heraus rhythmisch-melodische Riffs und bereitet somit die in den späten sechziger Jahren dominante Lead-Gitarre vor. Das deklarierte Vorbild ist der Gitarrestil des schwarzen Chuck Berry, der seinerseits die Spieltradition des Blues rhythmisierte. Er brachte das zwischen Quinte und Sext pendelnde Spiel von power-chords, parallele Quarten, das parallele wie dialoghafte melodische Spiel der Gitarre und Stimme