2.6 Stufen der Unmittelbarkeit des Musizierens im Pop 281 Ab 1967–68 ist die Beat-Gruppen-Konstellation auf eine Dreierbesetzung ge-schmolzen, die früher dominante Rhythmusgitarre wird der Schwere des Sounds und Trägheit der Rhythmen und Tempi gänzlich geopfert – Heavy-Beat mutiert zu Heavy-Rock. Das Revival des Blues, damit die Dominanz von R&B mit dem im weißen Feeling (miss)verstandenen Gefühl des Unterdrückten, der Sentimentalität mittelständischer Buben im Konflikt mit ihrer Rolle in der Gesellschaft, findet seine klangliche Entsprechung im Sound der Custom Les Paul verstärkt mit Serien von Marshall Stacks. Im Verein mit einer allgemeinen Verinnerlichung der Stimmung wird dieser Sound im kontemplativen Spiel einer insgesamt basslastig-trägen, ri-tardierenden Soundgestalt verwirklicht. Die gesellschaftspolitische Lage der späten Sechziger beendet den fast uneingeschränkten Optimismus – oder besser den auf das pubertäre Thema des Ich und Du (I wonna hold your hand) und auf Unterhaltung beschränkten Kommunikationsprozess und damit den Happy Sound und bereitet das adoleszente Konfrontieren des Ich mit dem Wir, mit der Gesellschaft vor, das sich zuerst bloß in psychischen, dann in intellektuellen Fluchttendenzen manifestiert und erst wesentlich später in den achtziger Jahren zur politischen Handlung wird. Fußend auf diesen Haltungen und mit der Jazznähe der R&B-Musiker dringen nach dem Heavy Rock jazzige Spielweisen und entsprechende formale Gliederungen in die Musik ein. Modale Improvisationen über ein zuvor vorgestelltes Thema aller Instrumente, selbst Schlagzeugsoli werden in der Rockmusik möglich. Später (in der kommerziell motivierten Musik findet die Aufnahme avantgardistischer Ten-denzen immer zeitverzögert statt) wird auch die Kollektivimprovisation im Rock erprobt, die inhaltlich und programmatisch 1960 durch die Platte Free Jazz von Ornette Coleman in den Jazz eingeführt wurde. Diese Kollektivimprovisation ist auch die musikalische Entsprechung zum linksorientierten, ideologisierten Demokra-tieverständnis, dem gleichrangigen Miteinander, das als Wir-Gedanke die gesamten sechziger Jahre prägte und dann in den späten sechziger Jahren im Horizontalisieren dominant ist. Die Musiker, die solche Musik realisieren konnten, kamen aus der vom Jazz abgespalteten R&B Szene und hatten Erfahrung im Jazz-Spiel. Jack Bruce, Ginger Baker und der den Blues-Gitarren-Stil dominierende Eric Clapton waren als Cream dann auch die erste Supergruppe dieser Ära. Obwohl oftmals nach den Kriterien des weißen bürgerlichen Super-Rock hoch gelobt, mit den Experience zuerst in der Blütezeit der Anwendung des analogen Mehrspur-Studios als Instrument auch von Eddie Kramer derart produziert, später – nach den publikumswirksamen Show-Einlagen auf der Bühne als Live-Musiker ver-kauft, in der Band of Gypsys künstlich zu einer Super-Group mit anderen Superstars (Buddy Miles, drums; Billy Cox, bass) auch aus dem Jazz-Bereich zusammengestellt, steht Jimmy Hendrix nicht in der Tradition des solierenden Genies. Seine Spielweise ist die des schwarzen mit seinem Instrument verschmelzenden, den Stimmduktus nachziehenden bzw. mit ihm dialogisierenden Blues-Sängers, der einerseits (aus un-sauberer Technik) in parallelen Quarten spielt, andererseits das Spielen der Einheit von Gitarre und Verstärker, eine paramaschinelle Spielart, die Rückkoppelungen und das Geräuschhafte der E-Gitarre als ihre Spezifika nutzt – Artefakte (der Spielweise wie des Instruments) werden darin als ästhetische Besonderheit hervorgekehrt: eine Haltung völlig abseits der weißen Haltung!