2.6 Stufen der Unmittelbarkeit des Musizierens im Pop 283 vollzog es sich bei den weißen R&B- Gruppen der frühen Londoner Tage durch das Missverständnis schwarzen Leidens und gipfelt Ende der sechziger Jahre im Verein von Werkgedanken und pop-musikalischem Klang und Rhythmus. Die schwarze Musik hingegen hatte sich unter Beibehaltung ihres Selbstver-ständnisses, dem Huldigen eines Hedonismus, der sich vor allem im stimulierenden motorischen Gerüst ihrer Musik zeigt, ihre eigene Musikszene geschaffen. Die rhythmisierte, unverzerrt gespielte Gitarre überlebt und etabliert sich ad-äquaterweise stilprägend im schwarzen Soul Mitte der Sechziger und ist, neben dem Schlagzeug, wohl der am unmittelbarsten motorische Part jener Musik, der als Antrieb zum Tanz im Motown-Stil zusätzlich als politische Aufwiegelung bei James Brown wirkt oder auch bewusst so eingesetzt wird. Vor allem die mit seinen tänzeln-den Bewegungen synchronen rhythmischen Gitarrenriffs der dafür prädestinierten schrillen Fender Stratocaster (Single-Coil-Konzept) prägen später die Rhythmik und den Sound des Funk. Die über den rhythmischen Teppich hingeworfenen Ge-sangsfetzen finden sich im solistischen Stil von Miles Davis spätestens seit Bitches Brew. Nicht alles, was mit der zunehmend von weißem Musikverständnis durchsetzten Pop-Musik der beginnenden siebziger Jahre kam, war dem Pop inadäquat, Pop und klassische Avantgarden bereicherten sich gegenseitig. Das Studio als Instrument, die Entwicklung manuell spielbarer Musikelektronik fruchtete im Pop. Die Übernahme des im Jazz und der E-Avantgarde jener Tage vollzogenen Experiments in die Pop-Musik, aber auch umgekehrt, der Einfluss ihrer »anderen Avantgarde« in den klassischen Avantgarden, bereicherte beide Musikarten. Virtuosentum drang in die Rockmusik, teils als Abklatsch spätromantischer Genievorstellungen (mit denen die britische Art-School-Szene wohl stets liebäugelte), teils als notwendige Grundlage für die instrumentelle Ausführung der nunmehr komplexeren musikalischen Elemente. Musikalische Einzelgänger spürten die Gunst jener Zeit. Dem Hauptinstrument des Pop treu versuchten sich Frank Zappa, Robert Fripp, John Mc Laughlin, der die Früchte ernten durfte, wie Miles Davies mit seiner Annäherung des Jazz an den Pop, der mit der Aufnahme pop-musikalischer Elemente und Klänge eine neue Jazz-Avantgarde mit Bitches Brew (1970, CBS) einleitete, zugleich auch den Grundstein für Fusion-Rock und jazzige Rock-Experimente (Mahavisnu) legte. Andere Musiker fußten ihre rockavantgardistische Arbeit auf ihrer traditionell europäische Musikbildung. John Cale experimentierte mit Techniken der musique concrète, deren einer Vater Pierre Henry seinerseits – vielleicht der Dominanz des Klanges in beiden Musikwelten folgend (vgl. JAUK 2002c) – sich an die Symbiose mit der Rock-Welt (nicht uneinsichtig mit der Heavy Gruppe Spooky Tooth) wagte. Brian Eno und Robert Fripp näherten sich auf dem selbstentwickelten Frippertronic mit maschinengesteuerten kompositorischen Mechanismen der figurativen repetitiven minimalistischen Komposition. Terry Riley hat die Annäherung der Minimalisten an den Pop durchgeführt; für die Minimalisten nichts Unübliches, da sie stets die Nähe des Publikums abseits des Musikbetriebes beispielsweise in Galerien pflegten (vgl. SCHAEFER 1987). Ein soziopolitischer Hintergrund des Eindringens von Art in den Pop waren in England die Art-Schools. In den sechziger Jahren wurden sie zur Zeit des 100- jährigen Bestehens in ihrer ursprünglichen Funktion – dem Liefern von Design für