2.6 Stufen der Unmittelbarkeit des Musizierens im Pop 289 Revivals und Modifikationen, denen bewusste Aufwiegelung durch excited schweren Sound eigen ist. Spielweise, detuned Stimmungen und Übersteuerung der ampli-fication führten zu dichten in sich schwebenden noisy-sounds auf der Grundlage mächtiger Bassanteile. Les Paul und Marshall Stacks sind die Synonyme für diese Klangvorstellungen. Eine dem Missbrauch entsprungene Klangwelt gilt als die urtümliche des Pop – auch seinen kunstvollen Varianten. Das Studio als Instrument greift neben klanglicher Modulationen vor allem in die kompositorische Arbeit ein. Die klangliche Modulation, sei es auch nur als elektroakustisches Artefakt bereits in der Gitarren-Ära des Pop vorbereitet, ist durch die Entwicklung bühnenfähiger Effektgeräte weiter geführt und danach mit der Entwicklung des Koffer-Synthesizers, des Mini MOOG, zur elektronischen Klangerzeugung übergegangen; Effekttechnologie und der Synthesizer haben den künstlichen Klang vom Studio entkoppelt und auf die Bühne ins Live-Spiel gebracht. Delay-Effekte nehmen eine Sonderstellung im Übergang von der Klangmodulation zur kompositorischen Arbeit ein. Auf ihrer Erfahrung basiert beispielsweise die Minimal Music (SCHAEFER 1987). Minimale Verzögerung und ihre kontinuierli-che low frequeny modulation führt im Zusammenklang mit dem Originalklang zu Klangmodulation, zum Phasing. Sukzessive Wiederholungen des Signals, Echos, bilden akustische Räume einfach nach und transportieren deren emotionale Be-setztheit. 32 Die Reflexion von Signalen als first reflections und der durch räumliche Gegebenheiten spezifisch klangverändernde dichte Reflexionsanteil werden in digi-talen Raumsimulatoren willkürlich generiert und als musikalische Größe im Pop genutzt: Klangteile eines Stücks stehen zugleich in unterschiedlichen Räumen. Die kompositorische Arbeit durch das Studio ist einzigartig und nachhaltig – Speicherung, Überlagerung und Steuerung von Verarbeitungstechniken nicht bloß zur Klangmodulation, sondern zur Montage und weiterhin zur kompositorischen Strukturierung sind im analogen Studio erkundet. Sie werden mit dem Sampling und DJ-ing und schließlich mit dem Studio im Laptop in den technoiden Pop-Formen weitergeführt werden. Die Verfügbarkeit der Technologie als technisch-wirtschaftliche Innovation wirkt hier als ästhetische Größe. Das Studio als Klangmodulator nimmt physikalische Transformationen vor (Hall-raum) oder schafft Simulationen physikalischer Größen durch die Elektronik (Band-echo, Phasing durch minimale, in der Zeit modulierte Verschiebung zweier auf Tonband aufgezeichneter klanglicher Ereignisse) – selten werden im Pop neue akusti-sche oder psychoakustische Phänomene als elektronische Ereignisse generiert, obwohl der modulare Synthesizer bereits in den Experimentalstudios stand. Es fehlte ihm aber noch eine wichtige Voraussetzung, die – so wird sich später herausstellen – erst seinen Durchbruch ermöglicht: Die Spielbarkeit und die Synthese des künstlichen Klangs am Modell des natürlichen abseits seiner ursprünglichen Bestimmung, der Genese von künstlichen, nicht in der instrumentalen Welt vorkommenden Klängen. Auch das dem Instrumentenspiel ähnliche Spielbarmachen des Synthesizers mit der Klaviatur entsprach nicht dem Geist experimenteller Musik. Diese wollte die Tonhöhe wie andere Klangparameter prozessual steuerbar haben, und zwar so, dass 32 Vgl. das Slap-Echo der Live-Akustik als emotionales Sign der Live-Atmosphäre des Rock’n’Roll.