294 The exciting Sound of Pop Klang sah. Neben der bewusst künstlich machenden Verfremdung des Klanges38 ist es vor allem der unmittelbare Eingriff auf das Arrangement und die kompositorische Struktur durch die Verwendung tontechnischer Verarbeitungstechniken aus der gängigen Tontechnik,39 vorrangig erprobt in der musique concrète,40 die das Studio zum Instrument machen. Es sind dies der Schnitt als gestaltendes und nicht korrigie-rendes Element, die Überlagerung (beispielsweise zweier Mischungen bei Strawberry Fields), die komplexe Collage (z. B. Tomorrow never knows), die Dehnung, die Zer-hackung, die Modulation eines akustischen Ereignisses durch ein anderes (z. B. die Modulation des Reverse-Sounds, also die Steuerung der zeitlichen Umkehrung eines Klanges durch die ursprüngliche Zeitgestalt einer musikalischen Passage, wie etwa die Umkehrung der akkordischen Gitarre auf Love you too sowie die der solistischen Gitarrenpassagen auf I’m only sleeping, wobei die zeitliche Steuerung durch die Originalgitarre erfolgt, nur der Einzelklang ist reverse gespielt) und die Aneinander-reihung kleinster Einheiten zu einem horizontalen Klanggemisch (The Benefit of Mr.Kite und A Day in the Life) ähnlich der Methode, nach der Ligeti Artikulation (1958) und das Orchesterstück Atmosphère (1961) komponiert hatte, die gleichsam als Vorlage der Granular-Synthese dient, mit der in der Computermusik wie im Techno geräuschhafte Klänge erzeugt werden. MARTINs Transfer e-musikalischen Denkens wie der Avantgarden unmittelbar klanggenerierender und klangverarbeitender Musik steht im Umfeld anderer Experi-mente mit Aufnahmetechnologie, die eher dem pop-spezifischen Missbrauch und dem Hackertum verfallen sind – der Import steht unterminierenden musikalischen Handlungen bei. Die montageartigen, fantastisch-irrealen, unakademischen Klangexperimente Joe MEEKs auf I hear a new World an outer space music fantasy (1960), die dominanten, alle Individualität der Interpreten überdeckenden Wall of Sounds Phil SPECTORs beispielweise in River deep, mountain high, die orchestralen Breitwandsounds von Mark WIRT, durch den Gebrauch von Montagetechniken, Überlagerungen und künstliche Räume erzeugt, der tontechnische Missbrauch des Kompressors zur Dynamisierung des Klanggeschehens durch Pumpen,41 selbst die Montagen der 38 Die Generalisierung der von GADAMER (1986) kritisch der Einbindung in die Tradition ge-genübergestellte Innovationsgläubigkeit, die in uneingeschränktem Wunsch nach Künstlichkeit resultierte. 39 Die extreme Komprimierung der Stimme bei Lennons She said, she said führt neben der das Surreale simulierenden Verdichtung des Klangbildes auch zu rhythmischen Erscheinungen ähnlich jenen des Slap-Echos: Durch die hohe Verdichtung des Programms unterdrückt der gleichzeitige, amplitudenstarke Anschlag der Bass-Drum und des Beckens auf dem 1. und 3.Taktteil die übrige Klangmasse und gibt diese sowie das somit weich ausschwingende Becken erst allmählich auf 1+ sowie 3+ wieder frei. Durch dieses Pumpen wird die Akzentuierung der geraden Taktteile antizipiert und vorbereitend verstärkt, was bei mäßigem Tempo den schleppenden Eindruck und damit die Empfindung von Schwere erhöht. 40 Obwohl zumindest einseitige Kontakte zu Karlheinz Stockhausen und somit zur Kölner Schule der elektronischen Musik, die auf vollkommene Kontrolle der Synthese des Klanges wie der Struktur aufbaut, nachweisbar sind, sind die von Martin verwendeten Durchführungsmethoden eher denen der musique concrète entlehnt. Anzumerken ist allerdings, dass vermutlich ein gewisser Pragmatismus auch die Aleatorik der Ligeti’schen Komposition beeinflusst haben mag, eine Arbeit, die am Kölner Studio realisiert wurde. 41 Die Soundgestaltung der Konzept-LP Odgen’s Nut Gone Flake der Small Faces nutzt diesen Missbrauch deutlich. Der ursprünglich zur tontechnischen Kontrolle der Aufnahme und Über-tragung von akustischen Signalen, zur Vermeidung von Übersteuerungen und zur optimalen