2.6 Stufen der Unmittelbarkeit des Musizierens im Pop 295 Körpersounds der Gitarre von Jimi Hendrix in der Art der schwarzen Sänger laut-malerisch und im Unisono mit der Stimme körperlich gespielt, schließlich im Electric Ladyland Tonstudio von Eddie Kramer technisch verarbeitet, stehen im Umfeld jener kompositorischen Sound-Arbeit, die in der Reihung der sampleähnlichen Pet Sounds der Beach Boys (Brian Wilsons 1966) und den Verarbeitungstechniken der musique concrète und der elektronischen Musik der Beatles bereits seit Rubber Soul zunehmend dominant werden. Brian Wilsons virtuelles multi-track-recording ist mit der Notwendigkeit zum permanenten mono-remixing verknüpft, um auf das für die Beach Boys dominante Gesangsarrangement aus 7 Stimmen mit den damals zur Verfügung stehenden 4-Spur-Tape-Recordern zu gelangen. Was bei den Beach Boys aus dem Experiment innerhalb der Gruppe unter der Leitung eines Gruppenmitglieds entsprang, hat MARTIN gleichsam von außen durch den Import hochkultureller Techniken in die Pop-Musik getan (MARTIN 1997): Das Studio als Instrument hat zwar seine dominant E-musikalischen aber auch seine amateuristisch hackerartigen Wurzeln. Diese hochmediatisierte Musizierform ist ein Weißwaschungsprozess schwarzer Musik (vgl. HEISER 1997, S. 40) und die Kulti-vierung originär körperlichen Musizierens, zugleich darin ein Katalysator für den Zugang, der auf die Erforschung artifizieller Musik gerichteten, akademischen Mu-sikforschung zur sounddominierten Pop-Musik. Diese holte sich ihr Sound-Konzept rasch wieder zurück. Die stete Verfügbarkeit des Studios als Instrument im digita-len Kleinformat am low-cost PC hat eine instrumentarisierte, direkt musizierende Klangbearbeitung im gänzlich amateuristischen Bereich ermöglicht. Das analoge Studio ist eine schwerfällige und kostenintensive Maschinerie. Das Experimentieren mit und in ihm ist nur wenigen zugänglich. Das MIDI-Studio erlaubt dann Simulationen und kompositorische Vorexperimente zu Hause. Die auf dem Hard-Disk-Recording beruhende digitale Klangspeicherung und -manipulation ersetzt das Studio völlig; alle bisher denkbaren Verarbeitungstechniken der Kompo-sition sind nun digital möglich. Mit seinen Implikationen, dem patternorientierten Arbeiten, erweitert der Computer das Studio als Instrument um diese spezifische Äs-thetik und ermöglicht Neues: Techno. Das Studio als Instrument ist geschrumpft zum Instrument Computer und weiter zum Billigstprodukt mit Soundblaster – es ist da-mit für jeden verfügbar. Sind die Avantgarden der elektronischen, elektroakustischen und konkreten Musik in den mit der Übertragungs- und Speicherungstechnologie versehenen Rundfunkstudios entwickelt worden, haben sich die Avantgarden der Computer-Musik an akademischen Institutionen etabliert. Erst allmählich dringt durch die Öffnung der Institutionen wie auch durch Eigeninitiative der Entwickler zuerst abgeschotetes Know-How der Avantgarden in den öffentlichen Raum. Sind die Produkte zwar im Bekenntnis vom Zueinander von Kunst und Leben geschaf-fen worden, werden sie erst nun ins öffentliche Leben überführt: MAX/MSP, eine IRCAM-Entwicklung, mutiert über die ideologischen Bekenntnisse des Entwicklers Nutzung des Dynamikbereichs konzipierte Kompressor wird von seiner nicht hörbaren, dienen-den Funktion zum hörbaren Instrument. Vor allem in Rolling Over komprimieren die Becken das gesamte Klanggeschehen, wodurch eine Art Meta-Rhythmus entsteht; sein schwebender Charakter wird dann in psychedelischen Formen zugleich wirkungspsychologisch wie ikonisch zeichenhaft als innermusikalischer Parameter zur Erzeugung eines emotionalen Konzepts verwendet.