2.6 Stufen der Unmittelbarkeit des Musizierens im Pop 315 Musizieren – auch dem Gemeinsamen steht nichts mehr im Wege, vorerst im telematischen Konzert. Das Zeitalter der Steuerung von (vorprogrammierten, wenig modulierbaren) Synthesemaschinen wandelt sich in die Ära der direkten Arbeit am Klang in der digitalen Popularkultur, nun tatsächlich at home, im bedroom für jedermann und – im Kollektiv der über das www vernetzten Bedroom-Home-Studios im Verständnis von Musik als open source im dynamischen Prozess gemeinsamen Musizierens abseits von Zeit und Raum. 2.6.11 Die musizierende Sound- und Struktur-Formung mit dem digitalen Klang Die Digitalisierung hat in der Pop-Musik auf der Seite der Rezeption die Ablösung der Vinyl-Platte durch die CD gebracht, in der Produktion durch die Möglichkeit, vorerst ob des beschränkten Speicherplatzes zumindest kurze Klangteile digital zu speichern, Stichproben der Klänge zu entnehmen im Sampler. Im Mainstream findet die Digitalisierung als billiger Ersatz vor allem akustischer Instrumente im Arrangement Verwendung. In den innovativen Formen von Pop experimentiert man mit den technischen Gegebenheiten des Systems. Der homophone Sampler ermöglicht das Sampeln eines kurzen Sounds; seine Wiedergabe ist triggerbar über Klaviatur oder durch MIDI-Befehle. Die Veränderung der Abspieltonhöhe bewirkt eine unterschiedliche Auslesezeit des digitalen Ereignisses, somit eine Transposition des Klanges (mit seinen Formanten, was zu künstlichen Klangerlebnissen führt). Mehrmaliges Triggern führt bei entsprechenden Einstellungen (play as sample) zum mehrmaligen Abruf jenes Teils des Samples mit entsprechender Zeitverschiebung der Triggerwiederholungen – synkopisierte Starts und minimalistische Klanggespinste sind die Folge. Beide technischen Eigenheiten wurden als ästhetische Besonderheiten der Sampletechnologie eingesetzt und wurden zu Signs des Samplings. Aus der Live-Elektronik sind Loops mit Tonbandschleifen und variablen Abspiel-geschwindigkeiten bekannt. Der Sampler ermöglicht das Setzen mehrer Loops mit unterschiedlichen Start- und Endpoints und deren variables Verschieben. Damit leitet Looping über in die musizierende, prozesshafte Klang- und Strukturarbeit. Bob Ostertag ist einer jener Pioniere, der Sampling, vom Ersetzen befreit, als direkte Arbeit am Klang nutzt. In Weiterführung der Idee der musique concrète werden dabei digitale Sounds ob ihrer Klanglichkeit genutzt und in ihrer Klanglichkeit variiert, digital transponiert, willkürlich geschnitten, geloopt und überlagert und mit Effekten versehen – eine direkte Realtime-Arbeit am Klang. Das technoide Musizieren findet im Sampling seine avantgardistische Form am Übergang zwischen musique concrète, live-electronics und dem Techno. Das digitale Sampling hat technische Vorfahren. Wie beim klaviaturgesteuerten Synthesizer finden sich auch beim Sampler Vorfahren und Parallelentwicklungen. Bereits die Ideologie der musique concrète vorwegnehmend hat der Futurist Russolo das Intonarumori als Instrument entwickelt, das das Geräusch mechanisch spielbar machen sollte – nicht das Naturgeräusch der Romantik, sondern das an den Lärm der Maschinen und Städte angelehnte. Es beginnt hier eine Ästhetisierung des Alltags, die bei den (Be-)Arbeitern des konkreten Klangs gleichsam unbemerkt