2.6 Stufen der Unmittelbarkeit des Musizierens im Pop 319 solche beispielsweise über das Forum IRCAM50 vertriebene bzw. über entsprechende Open-Source-Platforms produzierte Software in die musizierende Pop-Öffentlichkeit. Auch hier steht die Nutzung der Realtime prozessualen Programme vor den struk-turierenden. Wiederum erweist sich Pop primär als direkte Klangarbeit und nicht als Strukturarbeit im Dienste des Klanges. Interfaces am Beispiel des musizierenden Verhaltens des Pop schließen als techni-sche Extensionen des Körpers an die Ästhetik des direkten körperhaften Musizierens an. Die psychologische Verfügbarkeit des Handlings, die intuitive Handhabung von Steuerungssystemen ermöglicht pop-adäquates Musizieren. Im Sinne WEBERs (1921) ist dies eine durch technischen Fortschritt bedingte ästhetische Änderung, die im Falle der Steuerung durch psychologische und körperhafte Interfaces den Weg der Mediatisierung zurück schreitet. Sensor-Pads erlauben die manuell ausdruckshafte Steuerung von Effekten, Bewegungssensoren die reaktive Klang- und Lichtgestaltung in Techno-Environments. Pop-Musik als klangdominierte Musik nutzt selbstredend klanggenerierende und klangverarbeitende Methoden. Dennoch, neben der direkten willkürlichen Klang-verarbeitung bleibt der Computer allerdings bis heute auf seinen Einsatz als MI-DI- Sequenzer zur Erstellung von Songs aus seinen spezifischen formalen Teilen beschränkt; daraus wird das Online-Denken letztlich auf die Arbeit mit Hard- Disc-Recording-Systems übetragen. In dieser Verwendung ist der Computer ein herkömmliches Kompositionstool wie das Klavier der Songschreiber der fünfziger Jahre – allerdings erweitert um die Hörbarmachung von Arrangements während seiner Erarbeitung mit intuitiv zugänglichen Werkzeugen, ikonischen grafischen Bedienungsoberflächen. Mit dieser psychologischen Verfügbarkeit ist musikalische Arbeit abseits musikalischen Wissens, ist Klangarbeit abseits physikalischen Wissens möglich geworden. Mit Techno, prozessualer Klang-Musik durch die Verschmelzung von Struktur und Klanggenese, mutiert der Einsatz der digitalen Klangsynthese im Bereich der Pop-Musik vom Ersetzen akustischen Instrumentariums und deren Spielweisen sowie dem simulierenden Kompositionstool zum Live-Sound-(Per-)Forming. Von den Synthesizern über das Hard-Disc-Recording bis zur Realtime Soundsynthese am Computer haben sich Syntheseverfahren in ihrem Handling an das Musizieren des Pop angenähert – reihende Kompositionsverfahren als Structuring von Patterns machen aus der Liedform endlos stationäre musikalische Klang-Formen. Die erste Generation digitaler Musikinstrumente waren stand-alone Musikcom-puter, digitale Synthesizer, die digitale Prozessoren zur Steuerung der Synthese-parameter des Moog’schen Konzepts verwendeten, der Simulation des Verhaltens natürlicher Klänge. Dies wurde zuvor in den großen Analogstudios der elektroni-schen Musik praktiziert, hier allerdings bereits mit dem Ziel, eine Strukturierung 50 Patchwork ist ein visual programming environment zur Struktursynthese der Gruppe computer aided composition. Klangsyntheseprogramme der klassischen Methoden bis zum physical modeling (Modalys) wie eine am Modell der menschlichen Stimme orientiertes Synthese-programm, das das IRCAM in mehreren Generationen (von Chant bis SVP) entwickelt hat, gehören gemeinsam mit dem Analyseprogramm Audiosculpt der Gruppe Analysis/Synthesis an. MAX/MSP zur Gestaltung prozessualer Abläufe und interagierender Systeme und der Spa-tialisateur, ein Raumsimulationsprogramm, das die Gestaltung von Raum als eine musikalische Größe erlaubt, sind die Programme der Gruppe Real Time.