2.6 Stufen der Unmittelbarkeit des Musizierens im Pop 321 Tonbandstückchen, die er in einem Setzkasten ordnete und nach einem System hintereinander montierte – der Ursprung der technisch realisierten Granularsynthese. Erst der Computer ermöglichte die gezielte Synthese der Wellenform kurzer Grains (der Dauer von 5 bis 100 Millisekunden) in der Zeit; frequency-domain information verbindet sich mit time-domain information in der granular synthesis. »The grain is a particularly apt and flexible representation for musical sound because it combines time-domain information (starting time, duration, envelope shape, waveform shape) with frequency-domain information (the frequency of the waveform within the grain)« (ROADS 1991, S. 144). Obwohl mit Hilfe der digitalen Musikelektronik und jenen Strukturierungs- und Klanggenerierungs-Techniken, die aus der elektronischen und der elektroakustischen Musik kommen, vor allem im Bereich der iconhaften und stimmungsverstärken-den Klangmalerei komplexe Klänge und Geräusche über Film-Soundtracks und die Werbung in das breite Bewusstsein der anonymen Öffentlichkeit gedrungen sind und dort akzeptiert werden, werden dieselben Klänge nicht als musikalische akzeptiert und dementsprechend wenig und nur als Aufputz der (wiederum) gitar-rendominierten Pop-Musik verwendet. Eine Ausnahme bildet jene Musik, deren Ästhetik abseits der schwarz-amerikanischen Ursprünglichkeit, in der europäischen Hochkultur angesiedelt ist. Elektroakustische Verarbeitungstechniken haben den Auftakt zu bombastischem Art-Rock in den späten Sechzigern gegeben. Die Nut-zung und Weiterentwicklung solcher Techniken hat zugleich auch die Absage vom Live-Verständnis und die Etablierung des nun auch in der Pop-Musik allgemein gewordenen Verständnisses vom Studio als Instrument bewirkt; eine modellhafte Vorbedingung für den Einsatz des Computers in der Pop-Musik. Erst mit den spielbaren Sampler-Synthesizer-Kombinationen kehrt die Computer-Pop-Musik zum Live-Spiel zurück. Das Looping, Ausdruck der schleifenbildenden Denkart des Com-puters, wird als primäres struktur- und damit klangmodellierendes kompositorisches Mittel verwendet; mehr in einer komponierenden Spielart der Live-Elektronik denn als kompositorische Methode. Wurde beim Einzug der elektronischen Welt in den Pop die Spielweise der Gitarre auf die Spielweise des monophonen Synthesizers übertragen und damit Techniken (pitchwheel) und Ästhetik geprägt, kommt es danach zur Rückwanderung der patternorientierten Kompositionsart in den Gitarren-Pop. Prodigy versuchte eine Verschmelzung der Spezifika beider, Fear Factory vollzieht den Transfer des Patternreihens auf die Metal-Spielweise der Gitarre; Fear Factory produziert auch technoide Parallelversionen. Der Pop-Musik war und ist erneut ein Hang zum Spiel mit Authentizität eigen. Ideologische Echtheit ist dabei mit erdigem, meist gitarreorientiertem Sound gekop-pelt. Erst die Verfügbarkeit und Produktionserleichterungen durch den Computer brachten seinen Einzug vorerst in die kommerzielle, billig produzierte, schlagernahe Pop-Musik. Das Erarbeiten von Strukturen wie auch das Verfügbarmachen von Klang ab-seits seiner an den Musiker gebundenen, aktionistischen Realisierung durch MI-DI- Triggerung, meist im Vorfeld der Produktion, sind seine Anwendungsgebiete; Synthie-Pop ist die adäquate, eigenständige Sequenzer- und Computer-Pop-Musik.