2.6 Stufen der Unmittelbarkeit des Musizierens im Pop 323 tion erzeugen gleichsam eine Überantwortung an die Klänge. Hohe Intensitäten, Lautstärken und Klangdichten dem Rauschen nah (vor allem im noisy techno), tun ein Weiteres, das vielzitierte rauschhafte Erleben zu erreichen; dort wo in gewisser Weise Figur-Grund-Arbeit wieder aufgegriffen wird, wird dies, die Figur-Grund- Arbeit des Pop-Liedes überwindend, mit überhöhter Künstlichkeit gemacht, mit high intensity, die wiederum irritierend in den Bann zieht, stark immersiv wirkt. Andererseits ist die Überhöhung des Figur-Grund-Konzepts ebenfalls seine Negation und ein Mittel der Aktivierung. Extreme Kontrast und nicht begleitende Bezüge zu erstellen sind die Intention solcher Arbeiten, für die Ikedas Matrix beispielhaft steht. Soundfiles werden recorded und dann abhängig oder unabhängig von zeitlichen grids über Copy&Paste strukturiert, wiederholt, verschachtelt, kaskadiert zur Erzeu-gung von musikalischen Strukturen, minimal verschoben zur Erzeugung klanglicher Modulationen. Patterns können willkürlich in Teile zerschnitten, wahlweise zusam-men gesetzt und moduliert werden; kontinuierliche Übergänge werden dabei von der Maschine nach einstellbaren Parametern errechnet. Dehnungen und Stauchungen sind (in Schranken) ohne Tonhöhenveränderungen möglich, damit werden bereits physikalische Gesetze außer Kraft gesetzt – der Natürlichkeit wird Willkürlichkeit entgegen gestellt. Was in der direkten Klangarbeit im instrumentalen Musizieren unmöglich ist, zwar in der Arbeit am musikalischen Zeichen nicht aber an seiner klanglichen Realisierung möglich ist, ist im digitalen Code möglich. Diese Arbeit mit Klang am Computer leitet über in digital Musics. Mit Befehlen des Betriebssystems werden von naiven Personen Strukturen will-kürlich gesetzt, Entscheidungsprozesse basieren auf der hedonischen Empfindung. Die ideologische Fundierung solcher Strukturierungstechniken mit Samples und Syntheseverfahren am Computer liefert seine wirtschaftliche und psychologische Verfügbarkeit in der Erlebniskultur; die Koppelung schwarzer Protesthaltung mit den Ausdrucksmitteln der kommerziellen Sample-Technologie im Rap und Hip-Hop verleiht computergestützer Strukturierung Widerstandsflair. Damit wird diese Art von städtischer Pop-Computermusik erdig wie die gitarrenorientierte – mit dem Vorzug, frei zu sein von rühriger, in ländliches Klima eingebetteter Nostalgie. Der amateurhafte, für alle mögliche Einsatz von Technologie als Gestaltungsmittel im Hip-Hop, vom Verschnitt von Musikstücken via Musik-Cassette und der lautstar-ken Untermauerung des politischen Wortes damit über den Ghetto-Blaster, sowie im Techno, der seine Wurzeln im DJ-ing ebenso wie im Missbrauch von einfacher Musiktechnologie hat, ist auf den Personal Computer übergegangen. Hip-Hop und Techno unterscheiden sich mittlerweile wenig hinsichtlich der musika-lischen Arbeit am Computer, wohl aber hinsichtlich ihrer politischen Grundposition, auch wenn Hip-Hop der New School mit dem Streben nach fame dem Widerstand der Old School entgegensetzt – Authentizität wurde zur zeitgemäßen Subversion des marktwirtschaftlichen Systems Pop-Musik. Obwohl auf der Surface ähnlich, unterscheiden sich Hip-Hop der New School und Techno durch die Intention der Subversion bzw. Affirmation dieses Systems. Durch die wirtschaftlich bestimmte Verfügbarkeit des Computers vollzieht Pop einen weiteren Schritt in der Mutation zur biedermeierlichen Hausmusik. Die auf der Skiffle-Group Ideologie basierende britische Pop-Musizierpraxis hat die Haltung