2.7 Die Emanzipation des hedonischen künstlichen Sounds 333 2.7.3 Techno ist ein Kunstprodukt Als diese – organisiert mit eigenen Publikationen – sieht Techno seine Wurzeln im italienischen Futurismus, im Manifest Russolos und seinem Intonarumori, in der Etablierung des städtisch-industriellen Lärms als musikalisches Material. Nicht die Klangfarbenmelodie, sondern das Atonale bei Schönberg wird beschworen (ANZ & WALDER 1995). Techno sind gereihte Multiples Warhol’scher Art, künstlich gefertigt in der Art industrieller Massenproduktion – oder wie die ready-mades von Duchamps, rekon-textualisierte Samples – miets bpre data (8), roher Klang, völlig entmediatisiert in möglichen kontextuellen Bezügen und durch dieses Spiel erst mit Sinnhaftigkeit versehen. Außermusikalisches und Innermusikalisches verschwimmt im Sample als wirkungs-volles Klangstück. Was eine intellektuelle Leseart ermöglicht sind, nach Aussagen der Szene, Sounds abseits des verweisenden Charakters (DIEDERICHSEN 1996). Ver-weigerung von Bezügen nach außen und Selbstgefälligkeit sind hedonische Prinzipien der sozial positionierenden Selbstdefinition – Techno und seine Szene entsprechen diesem Verständnis. Vor den Ingenieuren haben Musiker aus dem der Maschine zugrundeliegenden formalen Denken Zeitstrukturen und Klänge geschaffen. Die Reihen-Technik, die serielle Musik, ist Musik aus der Erfahrung der Formalisierung von musikalischen Entwicklungen durch Algorithmen. Process-Music ist aus der Erfahrung maschi-neller Prozesse hervor gegangen zugleich als technoide Musik die unmittelbare Nutzung von Maschinen und deren gegenseitiger Steuerung zur Struktur- und Klangstrukturierung. Die repetitiv patternorientierte Denkart der Minimal Music, das schleifenbildende Denken der Computerstrukturierung finden in der gegenseiti-gen Steuerung von musikalischen Elementen auf Tonbandschleifen ihre Vorbilder. Die Copy&Paste Kompositionsikonsart der Sequenzer- und Hard Disc Recording Musik popularisiert diese musikalische Denkweise, die nun, vielleicht nach Techno, in die akustisch gespielte Musik rückwirkt oder auch nur Parallelen zu außereuropäischer Musik mit esoterischem Gehabe hochhält. Der New Yorker Underground besinnt sich der Pattern trommelnden Spielweise des Schlagzeugers Ginger Baker, der seine Spielart den afrikanischen, polyrhythmischen musikalischen Kulturen entnommen hat. Das geschichtslose wie auf die technoide Welt der angloamerikanischen Kultur gerichtete Bewusstsein der europäischen Techno-Kultur grenzt diesen Blick auf ferne Vergangenheit und Kulturen wie auf andere Genres aus und stärkt damit zugleich das Selbstbewusstsein – Inszenierung einer genialen Identität ohne den Blick nach außen. Trotz aller proklamierten Geschichtslosigkeit baut Techno letztlich auf geschicht-liche Entwicklungen – theoretisch, technisch und auch ästhetisch: die Avantgarden der elektronischen Musik, musique concrète, Acousmatique und Computermusik in denen sich die Ideologie und die Utopien des Futurismus peu à peu realisierten. Technische Tools zur Strukturierung von Klang wie die Entwicklung von Industrie-fertigungen gingen aus den Forschungszentren der neuen technoiden Musik hervor. Jene Musik ist die Avantgarde der elektronischen und Computerkünste, ihr Output ist heute als Theorie der Digital Art und ihrer Hard- und Software verfügbar – diese gebraucht Techno.