2.7 Die Emanzipation des hedonischen künstlichen Sounds 335 durch den Körper haben mehr Einfluss als die Improvisation professioneller Gitar-risten eingebracht, die händische step-by-step-Eingabe von repetitiven Basslines am Roland TB-303 und von Drumpatterns am Roland TR-606 / TR-808 / TR-909 und deren rasende Wiedergabe erbringen eine technoide Ästhetik, während das Sequencing formaler Teile dem leichteren Einspielen von Pop-Songs dient. Insgesamt kommt eine »andere Avantgarde« (HOFFMANN 2002) aus dem stets mit Klang experimentierenden Pop. Techno ist Musik der Medientechnologie; zugleich entzieht sie sich, im Unterschied zur Elektronischen Musik, die medial vermittelt wird, den Medien. »Techno [. . . ] ist eine DJ-Musik – die erste gänzlich von technisch generierten Klängen und den dazugehörigen Medien abhängige Form des Musizierens, die als Musik dennoch durch technische Medien nicht mehr vermittelbar ist [. . . ]. Indem die Medien zum Instrument des Musizierens werden, verlieren sie ihre vermittelnde Funktion« (WI-CKE 1998). Techno-Musik dekonstruiert somit den vermittelnden Aspekt von Medien und stellt den Schaffenden ins Zentrum. Techno ist auch eine sozialästhetische Erscheinung – einzigartig im Zusammenspiel zwischen Amerika und Europa, amerikanische Subculture trifft auf die Art-Attitude Europas. Einzigartig in der künstlerischen Konstruktion – einzigartig darin, in unteren sozialen Schichten ohne jeglichen künstlerischen Anspruch rezipiert zu werden und dort, wo Lust als ästhetische Haltung zur Schein-Alternative mutierte, nicht nur Akzeptanz, sondern ein breites Leben gefunden zu haben – vergleichbar dem McLaren’schen Kunstprodukt Punk und seiner gesellschaftspolitischen Rezeption in den Arbeitslosengebieten der britischen Industriezentren und der Adaption und Verschmelzung dieser Musik mit jener der mittellosen Einwanderer Jamaikas. In seinen Wurzeln sieht Techno sozialrevolutionäre Ansprüche. Der zeitgemäße Techno dient dem Hedonismus als eine Art Religion unserer Tage – verbunden mit seiner Natürlichkeit ist die Nähe zu Esoterik nachvollziehbar. Als konzeptuelle Musik hingegen öffnet Techno andererseits die Grenzen über die Musik hinaus, wird Techno synonym für technoide Gestaltung, wird das spannungs-gesteuerte Prinzip der Gestaltung zum Modell für Digital Arts. »Technomusik ist eine Musik, die einerseits eine starke Dynamik aufweist und körperbetont ist, andererseits eine klare, analytische Struktur besitzt« (HOFMANN 2002, S. 96). Was hier als ergänzender Ausschluss betrachtet wird, ist kausal zu sehen. In der klaren analytischen Struktur der Rezeption liegt die körperliche Wirkung, zusätzlich zur Dynamik. Die maschineninterne Logik bietet dieses Kompositions-prinzip, das aus der Erfahrung der Bandschleifen auf die Reihung in der Minimal Music übertragen wurde. Wie Minimal Music ist die Pattern-Music Techno an den Club und in seinen avantgardistischen Formen, als digitale Kunst des common digits an die Grenzüber-schreitung gebunden und damit an die Szene der bildenden Kunst. Raster-noton mit Carsten Nicolai ist eine der Formationen, die minimalistische Techno-Musik als Klangarbeiter mit der künstlerischen Erfahrung des Nicht-Musikers betreiben. Die Repräsentanz des Materials als common digit kommt dabei multisen-sorischer Verarbeitung entgegen. In Abgrenzung von multimedialer Arbeit werden hier – dem Techno gemäß – sensorische Stimuli auf der Basis des Digits über ver-