2.9 Eine digitale Popularkultur: Zusammenfassende Vorschau 345 heute getan. Neben entsprechenden Interfaces ist es vor allem die leistungsfähige Billigtechnologie, die diesen Gap im musizierenden Denken der Amateure schloss. Der entmediatisierte (WICKE 1998), bedeutungsneutrale Klang wird wiederum in unmediatiserter Form musizierend direkt-körperlich gespielt, er wird funktional verwendet. Wenn virtuelle Schiebepotentiometer, als Slider mit Fingern am Touch- Pad mit der dafür notwendigen körperlichen Unterstützung geschoben werden, wird das körperliche Formen eines letztlich nicht physikalisch erzeugten und modulierten Klanges durch cooles Verhalten stilisiert – die dekonstruierende Spielweise der Laptop-Artists. Das IRCAM leistete Pionierarbeit, die physikalisch bestimmten Geräte mit psycho-logischen Interfaces zu versehen und zu Instrumenten des Musizierens zu machen. Die modulorientierte Programmiersprache MAX/MSP bietet mit direkter Klangbear-beitung dem Musizierenden Zugang in die Welt der Physik, der Klänge und deren prozessualer wie kommunikationsbasierter Gestaltung durch Schnittstellen, die auch nonverbale körperorientierte Handlung in Komposition überführen. Pure Data (pd) hat diese High-Tech-Entwicklung in einer digital community zum amateuristischen Instrumentarium gemacht. Dreidimensionale Darstellung von FFT-Analysen bei einstellbarer Fensterweite zugunsten höherer Zeit- oder Frequenzauflösung, Eingriffe in Teiltonspektren in das Schwingungsverhalten im 44 100sten Teil einer Sekunde editierbar etc. stellen musikalische Scheinexaktheiten dar. Das technisch Mögliche ist irrelevant als In-strumentarium für das Spiel von Musikern, deren primäre Quelle das gehörmäßige, nicht schriftmäßig transkribierende Nachspielen bzw. das intuitive Erfinden neuer Formen auf der Basis des Realtime Hörens als kontrollierendes Feedback war und ist. Pop-Musizieren ist ein stetes Remixing als lebendiges, möglicherweise auch nur auf Unvollkommenheit beruhendes, Schaffen von Neuem. Körperliches Verhalten als Spiel- wie Rezeptionsverhalten ist das ästhetische Kriterium, Hedonismus ein Artefakt der geringen Mediatisierungsstufe pop-musikalischen Musizierens. Die Musikindustrie und die naturwissenschaftsgläubige Szene haben hingegen technische Artefakte gefördert und musikalisch irrelevante Daten einer Musikwelt als essentielle suggeriert, einer Musik, die unmittelbar körperhaft und flüchtig ist. Techno hat damit zu spielen gelernt, aber: abseits der physikalischen Genauigkeit, einfach durch Trial&Error, durch Copy&Paste und hat Clicks&Bursts, durch Artefakte der Bearbeitung von Sound. Egal, ob digitale Samples über Maus oder analoge Schallplattentracks manuell über Turntables moduliert und montiert werden, die physiologisch/psychologische Wirkung des Sound bestimmt die Verarbeitung, unabhängig von ihrer Bewertung als richtig oder falsch am Kriterium der physikalisch bestimmbaren Natürlichkeit oder des gebildeten Klangs orientiert. Aus der Kriegstechnologie in die Ünterhaltungstechnologie übergegangen (KITT-LER 1988) hat der Gebrauch gegen die Betriebsanleitung aus Übertragungstechno-logie Produktionstechnologie der elektronischen Musik gemacht, hat aus Übersteue-rung der Verstärkung, färbenden Raumklang bei Eigenüberlagerungen eine Spiel-, aus Feedback eine prozessuale Kompositionsform gemacht (vgl. I’m sitting in a room). Im technischen Fehler als Subversion von Technologie sieht Alvin Lucier ge-staltendes Potential – Pop nutzt dieses Potential und ideologisiert es im dissidenten, zugleich hedonischen Hackertum.