346 The exciting Sound of Pop Einiges der Pionierarbeit der elektronischen Avantgarde ist in den Pop eingedrun-gen. Die Gitarre als Interface zur Steuerung von synthetischen Klängen oder Samples (via MIDI) ist im ideologischen Feldzug zwischen Gitarre oder künstlichem Klang gefallen. Dieses Hybrid-Instrument wird bloß vereinzelt von sich selbst aufführenden Modern-Jazz-Musikern verwendet. Die Steuerung von Klängen bzw. deren Effektierung über den tonangebenden »Wink« (vgl. Neumen), das Handzeichen, wird heute im kommerziell vertriebe-nen Massenprodukt KAOSS-Pad realisiert. Auch dieses Interface scheint eher in exklusiven Zirkeln einiger weniger Live-Elektroniker Verwendung zu finden. Die Wiederentdeckung des Theremin (entsprechende Bausätze finden sich im www) ließe sich als Annäherung an Körper-Interfaces deuten – möglicherweise liegt dahinter ein sich selbst zitierender, exotischer Avantgardismus. Die Dekodierung des Spielverhaltens – betrachtet als Ausdrucksverhalten – leisten spezielle Körper-Interfaces der Gruppe 01 (JAUK 1996, 2003). Kommunikation auf der Basis dieses nonverbalen Verhaltens improvisierender Musiker wird dabei zur Generierung von Musik am Modell des Gestaltens aus kommunizierendem Verhalten über den emotionalen Charakter des Verhaltens verwendet. WoMan-Machine und WoMan-WoMan-Interfaces wachsen hier im musizierenden Verhalten zusammen und thematisieren kollektives Gestalten wie Kollektive gestalten. Interfaces, die durch Aktivierung (über Kameras abgetasteter Bewegungen) be-stimmter Raumpositionen (programmierbare virtuelle Lokationen) mit diesen kor-relierte Triggerungen vornehmen, »ear-cones« (eine Programmstruktur von Frieder WEISS), werden in (meist figurative) Tanzenvironments55 integriert. Wie Interfaces zur Dekodierung von Bewegung finden sie im Pop bislang nicht Verwendung. Es sind dies Magnetsysteme, die die Raumposition von bestimmten Teilen an Partizipi-enten rückmelden oder solche Systeme, die bestimmte Merkmale an Partizipienten visuell anzeigen. Kamerabilder des Environments sind durch Triggerbalken mar-kierbar, deren Überschreiten bestimmte Reaktionen des Systems auslöst (WEISS), Ultraschalldetektoren melden das Verhalten von Gegenständen und Personen oh-ne deren Wissen – sie sind damit im öffentlichen Raum nutzbar; die Abtastung kontinuierlichen Verhaltens von Personen erlaubt zudem Ausdrucksverhalten zu erfassen (JAUK 2003). Meist liefern solche Detektoren MIDI-Werte, die dann mit entsprechenden Programmen die Daten zu brauchbaren Informationen gestalten; es sind dies softwarebestimmte Interfaces, die (zum Teil auf der Basis künstlicher Intelligenz) kommunikative Interaktion erlauben. Dem Mainstream des Pop meist fremd, haben dennoch Avantgarden des Pop die Arbeit der klassischen Avantgarden nicht nur aufgegriffen, sondern als klangdomi-nierte Musik mit dem Anspruch der direkten Klangformung auch technoider Klänge weiterentwickelt und popularisiert. Die »andere Avantgarde« (HOFFMANN 2002) hat jene unmittelbaren Klangerzeuger und -generierungsinstrumente adaptiert. Die direkte Klangformung des Pop war der Motor dieses Handelns einer Musikerge-neration, die vom Pop zur Neuen und Elektronischen Musik kam und nicht von der zeichensetzenden Komposition (BEHNE 1976; MARK 1981; JAUK 2002c). Diese andere Avantgarde ist im Crossover zwischen Pop und der ernsten Musik vorbereitet 55 Palindrome, eine deutsch-französische Arbeitsgemeinschaft, macht vorrangig entsprechende szenische Inszenierungen in Kooperation mit den Entwicklungen von Frieder Weiss.