2.9 Eine digitale Popularkultur: Zusammenfassende Vorschau 349 Sensorien zugänglich sind, multisensorale Arbeit/Environments und damit Wir-kungsverstärkung. Hedonische Strukturierung bedeutungsneutraler Stimuli folgt letztlich einer Logik des Auditiven, der spannungsgeregelten Zeitgestaltung. Es ist nicht verwunderlich, dass der abstrakte Film sich am Paradigma der kompositorischen Zeitgestaltung der Musik orientierte, dass visuelle Musiken als stumme Farb-Form-Strukturen nach Gesetzen der Musik funktionierten; es ist nicht verwunderlich, dass das Erst-Signal multisensoraler Formen als Musik entworfen wurde, es ist nicht verwunderlich, dass der heute trendige Crossover als Musikalisierung des Visuellen56 über den lustvollen Charakter der Wahrnehmung von Klangstrukturen populär und zum Mainstream wurde. Dieses Zueinander hat im spätromantischen multimedialen Spektakel eine Vorform, wurde im Futurismus durch das Postulat das Neue mit der Methode der Grenzüberschreitung zu finden programmatisch für das 20. Jahrhundert fest geschrieben, hat sich mit der Dynamisierung des Bildes durch technische Möglich-keiten emanzipiert, fand im abstrakten Film eine crossmodale Verwirklichung, ging im psychedelischen Environment zwischen Op-Art und Pop-Art in Warhols Factory eine wirkungspsychologische und zugleich zeichenhaft ideologische Einheit ein, findet im non-narrativen Videoclip, mit den Techniken der elektronischen Bildverarbeitung (BODY & WEIBEL 1987) ermöglicht, seine alltägliche kommerzielle Verwirklichung – das Zueinander wurde im common digit zur Verschmelzung. Von einfachen, auf Frequenzbänder reagierende Lichtorgeln zu Sound-parallelen intensitätsstrotzenden Scheinwerfersettings, die acoustic und photic driving zur wechselseitigen Wirkungssteigerung gebrauchen, über kombinierte Video- Audio-synthesizer, über die bloße Bildstörung durch Audiosignale, über die parallele cross-sensorische Konvertierung von Bild- und Audiosignalen über analoge Spannun-gen57 ebenso via MIDI-Daten (Steim Programmentwicklungen Imagine und Big Eye), über die intensive multisensorische Farb-/Form-/Licht-/Klang-Stimulation in Syn-volution von Konrad Becker, bis hin zur Datenschau des sinoid reinen Audiosignals der neuen grünen Elektronischen Musik am großprojizierten Korrelationsgradmes-ser (in Matrix von Ikeda) reicht die Palette der Stimulusgenerierung für parallele sensorische Reizung. Die Künstlergruppe Granular Synthesis baut darauf ihre High- Intensity-Arbeit, eingegliedert in theatralisch/dramatische Darstellungsformen. Multimediale Arbeit als multisensorale Reizung über das gemeinsame Signal, das common digit, das keiner sensorienspezifischen Logik folgt, dessen Willkürlichkeit über seine hedonische Wirkung reguliert wird, löst letztlich die an die primären Sensorien gebundene Medialität der Künste zugunsten des intervenierenden Körpers als Medium auf: Medialität reduziert sich auf Sensoralität – ein weiterer Rückschritt im Mediatisierungsprozess zum Originären des Pop. 56 RÖTZER 1989, 1991, FLUSSER 1985, CHARLES 1989 bezeichnen allgemein die Dynamisierung des Bildes als Musikalisierung, als Übertragung des Paradigmas der Musik als non-narrative Zeitgestalt auf informelle Zeitreihen visueller Stimuli. 57 Carsten Nicolai hat in Telefunken den analogen Crossover realisiert. Ein Audiosignal als Signal am Videoinput erzeugt synchrone Streifenmuster meist großflächig projiziert. Werner Jauk und Heimo Ranzenbacher haben dieses Low-Tech Crossover programmatisch 1991 bei der Klang-Figur für den Steirischen Herbst eingesetzt. Diese Arbeit thematisiert die Regelung von Klang und Körper über das Feedback Wahrnehmung, über nach außen gelegtes technisches Feedback – Bewegungen erzeugen Klänge, die wiederum Bewegungen erzeugen.