372 Digital culture und Pop Die populäre Musik hat den Körper über das unmittelbare Musizieren in die Neuen Künste gebracht – Interfaces orientieren sich am »im-mediated« Ausdrucksverhalten, an der Körper-Klang-Erregungskoppelung des Pop-Musizierens. Gestaltung und Rezeption von Klang im Pop ist an Körperlichkeit gebunden wie an die immersive Wirkung von Klang. Mit der hedonisch erlebten Erregung und Hedonismus als Gestaltungskraft berühren sich digital culture und Pop an ihren jeweils wesensbestimmenden Teilen. Pop ist klangdominiert, die elektronischen Musiken sind an der direkten Gestal-tung des Klanges orientiert. Mit der ästhetischen Haltung der Übertragung der Reihenkomposition auf die Komposition des Klanges in Köln und der Idee der direkten Verarbeitung von (konkretem) Klang selbst – die dann in der Computer-musik mit der Technik der Realtime-Klangsynthese möglich wurde – wurde die rein zeichendominierte Struktur-Musik zur Code-generierten Klang-Musik. Pop bringt die direkte körperliche Gestaltung in diese Klangarbeit ein. Über das gemeinsame Interesse am Klang sind Brücken zwischen Pop und den elektronischen Musiken entstanden, ein Crossover, der mit der Arbeit am common digit, gelöst von den sensorischen Kunstsparten, allgemein in die digitalen Künste führt – und diese auch musikalisierte. Die avantgardistischen Experimente mit Klang im Rock stehen der Klangarbeit der musique concrète nahe, die mit den materiellen Eigenschaften und sensorischen Eindrucksqualitäten von Klang arbeitet. Das analoge Studio als Instrument manipu-lierbarer, handhabbarer Klänge, die Verwendung von fassbaren, konkreten Klängen und prozessuale physikalische (Rück-) Koppelungen sind dabei gering mediatisierte Techniken, die sich mit unmittelbar körperhaft musizierendem Verhalten des Pop mischen. Der Zuzug der Pop-Musiker zu den elektronischen, elektroakustischen und später digitalen Klanggenerierungs- und Klangverarbeitungsverfahren (sowie deren entsprechenden Ausbildungsstätten nach der Öffnung zum Pop wie dies die Elektroakustik in Wien früh vollzog, das IRCAM mit dem Forum als öffentliche Plattform der Erprobung und Weiterentwicklung der eigenen Software und ih-rer Hervorbringungen) ist ob deren Nähe zur direkten Klangarbeit (JAUK 2002c) nachvollziehbar.1 Open Source Communities sind heute kreative Plattformen für die Gestaltung kompositorischer Environments, wo die musikalische Herkunft der Agenten aus dieser »anderen Avantgarde« (HOFFMANN 2002) bestimmend sein dürfte. Mit dem performativen Körper in der (musikalischen) Performance (BECK 2004) erprobt, hat Hendrix unter Umgehung der vorschreibenden Zeichen die Formung des Klangs direkt durch die körperkontrollierte akustische Rückkoppelung realisiert – er nutzte dazu nicht instrumentelle Handlungen, sondern der Rezeptor ist zugleich der Akteur – dies ist eine man-machine-interaction, die theoretische Vorwegnahme der späteren analogen technischen Interfaces (JAUK 2002b). Lou Reed gelang mit metal machine music (1975)2 die Zusammenführung der lustbetonten High-Intensity- 1 Die Nähe der Rezipienten von Pop und Neuer Musik ist empirisch belegbar (vgl. MARK 1981). Neben der Klangdominanz dürfte Gegenhaltung, die mit der klassischen modernen Avantgarde assoziiert ist, Bindeglied sein. 2 Lou Reed: Metal Machine Music. *The Amine ß Ring. An Electronic Instrumental Composi-tion (LP 1975), RCA-Records NY, BMG.