7 Wahrnehmung als Prozess der Vermittlung 7.1 Unmittelbar körperliche Wahrnehmung Die Psychophysik sah Wahrnehmung als passiven Transfer von Stimuli in die Erscheinungen des Bewusstseins, psychische Phänomene seien hinreichend aus physikalischen vorsehrsagbar. Die Gestalttheorie nahm die aktive Strukturierung im Wahrnehmungsprozess an, gleichsam die Konstruktion von Erlebnissen durch die Mechanismen der Wahrnehmung, wobei diese Mechanismen als nativistisch gegeben erachtet wurden. Wahrnehmung ist in zweierlei Hinsicht als aktiv anzusehen. Das kognitive Mo-dell sieht darin einen Denkvorgang, der sensorische Umsetzungen auf der Basis der bisherigen Erfahrungen interpretiert – die Parallele zum Modell maschinel-ler Datenverarbeitung ist auffällig. Aktiv ist zudem als erkundend zu sehen und Wahrnehmung ist nicht bloß die kognitive Verarbeitung eintreffender Information, sondern das Herbeiführen von Situationen, die Wahrnehmungsobjekte/prozesse »er-zeugen « bzw. aus einem Gefüge von Reizen isolieren – Wahrnehmung ist motivierte Wahrnehmungstätigkeit (GIBSON 1982). Die Körper-Umwelt-Interaktion ist die Basis für die Erfahrung der Welt. Aus dieser Erfahrung resultieren Denksysteme (HOLZKAMP 2000; LEVY 2000), die wiederum weiterer Erfahrung vorgeschaltet werden. »Zunächst glaubt man, das Problem der Wahrnehmung sei ein physiologisches, oder ein neurologisches, oder ein neuroanatomisches, oder ein psychologisches usw. Problem; aber es sind gerade die Resultate dieser Wissenschaften, die immer wieder zeigen, daß Wahrnehmung ein logisch-philosophisches, ein sozio-kulturelles, manch-mal sogar ein politisches Problem ist« (FÖRSTER 1990, S. 434). Die Philosophie und die Kunst seien jene Disziplinen, die dieser ganzheitlichen Definition genügen könnten. Solche disziplinären Standpunkte überwinden zugleich auch kognitive Konzepte von Wahrnehmung, als sie die Interaktion von Reiz und Sensorium als steten Prozess der Adaption sehen, eingekleidet in eine Umwelt, in der der Wahr-nehmende zugleich umweltbildender Agitator ist. Kognitive Konzepte gehen von der Bewertung der Wahrnehmung gleichsam vorliegender Information auf der Basis von Erfahrung aus. Die Körper-Umwelt-Interaktion als Wahrnehmungstätigkeit schafft die Reize der kognitiv interpretierenden Wahrnehmung. In das Schaffen dieser Reize gehen auch motivationale Größen ein, möglicherweise solche des Lustgewinns durch die Zuwendung bzw. Vermeidung gewisser Reize. Zudem können Reize nicht wahrgenommen werden, für die keine Detektoren ausgebildet wurden, weil sie in der bisherigen Umwelt nicht vorhanden oder lebenswichtig, keine Interaktionen mit ihnen möglich oder notwendig waren. Die »Wahrnehmbarkeit« von code-generierter Umwelt, die sich der körperlichen Interaktion entzieht, für die auch phylogenetische Adaption von Sinnesorganen nicht möglich war, wird unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten sein. Solche Reize fallen durch den Raster der erfahrungsbedingten Erwartung und werden als zu neu und dadurch hoch aktivierend (vgl. BERLYNE