390 Bedingungen der Irritation und Transgression des mechanischen Systems des hedonisch geregelten Spiels mit Codes bietet für beide Formen der Mutation von Wirklichkeit ein erfahrungsbasiertes Paradigma der Wahrnehmung. KANT verstand in seiner Kritik der reinen Vernunft Ästhetik (noch vor der Kritik der Urteilskraft) als eine allgemeine Theorie der Wahrnehmung oder ›Anschau-ung‹, »mit dem Raum als Anschauungsform des äußeren Sinnes und der Zeit als Anschauungsform des inneren« (SCHNEIDER 1996, S. 48); Raum ist eine Größe der Außenwelt, der direkten Erfahrung zugängig, Zeit ist allein eine Form der Wahrnehmung. Mediatisierung ist die Entfernung, schließlich die Loslösung der Erfahrung der Wirklichkeit von der körperlichen Erfahrbarkeit, vom Körper selbst; sie ist im In-teraktionsprozess mit der Außenwelt die Instrumentalisierung des wahrnehmenden Eindrucks wie des mitteilenden Ausdrucks, sie ist die graduelle Lösung des Subjekt- Objekt-Bezugs. Immaterialität ist die völlige Lösung der Bindung von Wirklichkeit an den Subjekt-Objekt-Bezug, Immaterielles ist letztlich nur abseits der körperli-chen Erfahrbarkeit verstehbar. Die alltägliche Zurückdrängung des Körpers durch Instrumentarisierung und Mediatisierung ist – von der einen Seite betrachtet – ein Problem der Immaterialisierung und es ist ein Problem der Wirklichkeitsvorstellung – von der anderen Seite betrachtet. »Seit sich das Verhalten auf bestimmte Bildschir-me auch auf Operationen ausführende Terminals konzentriert, erscheint das Übrige nur noch als ein großer nutzloser Körper, den man verlassen und verdammt hat« (BAUDRILLARD 1981). Diese warnende Polemik wurde längst verstanden. Zum einen wissen wir, dass wir in unserer Ontogenese Wirklichkeit als durch den Körper Erfassbares lernen und generalisieren. d. h. dass wir Schemata der Wahrnehmung auf unser Denken übertragen, die letztlich von der körperbezogenen Erfahrung herrüh-ren. Paul VIRILIO (1992, 1993), der Philosoph der Geschwindigkeit, weiß, dass wir mit dem tief – aus der (eigenen) körperlichen Erfahrung der Umwelt generalisierten – im Bewusstsein verankerten Verhältnis von Raum, Zeit und Bewegung (PIAGET 1946) eigene Körpererfahrungen generalisieren und als Gesetze formulieren, die nun durch die Erhöhung der Geschwindigkeit irritiert werden. Es sind dies mechanisti-sche Erfahrungen der Welt der Dinge und ihrer Beziehungen, die – im weitesten Sinne – zu Naturgesetzen führen. Unsere Interaktionsmöglichkeiten mit der Welt zeichnen das Bild der Welt; um in ihr möglichst gut leben zu können, optimieren wir die Interaktionsmöglichkeiten laufend. Diese Bilder der Welt sind in Wissen-schaftsbildern formalisiert, sie sind einerseits Ausdruck der Interfaces, andererseits konstruieren sie Interfaces. Die Wissenschaftsgeschichte der Naturwissenschaft und der Technik kennt eine Vielzahl von Hervorbringungen dieser Interaktionen von Modellen und Wirklichkeit, die am Weg zur Mediatisierung weg von der durch den eigenen Körper erfahrbaren Wirklichkeit wirksam waren und letztlich nur tieferen Einblick geben in die Systematik der Wirklichkeitserfahrung als Wirklichkeitskon-struktion. Die Technik ermöglicht uns in der Wahrnehmung die Komprimierung dieses Verhältnisses zum bewusstseinsmäßigen Moment, in dem Zeit und Raum keine erlebbaren, sich bedingenden Größen mehr sind, weil Bewegung abseits des menschlich Fassbaren stattfindet. Diese technische Errungenschaft kollidiert mit den körperbasierten Erfahrungsinhalten mechanistischer Art, die als Generalisie-rungen unser Denken bestimmen; erst allmähliche Adaption der Denkprozesse wird durch die Konfrontation mit der entdinglichten Welt ausgelöst; Die Erfahrung der