392 Bedingungen der Irritation und Transgression des mechanischen Systems mung somit ihre Theorie. Musik kennt keine neue Dynamisierung: Klanggeschehen ist etwas Dynamisches per se, seine Formalisierung geschieht in der komponierten Dynamik, einem primären Parameter von Musik. Mit der Gestaltung von Codes verlässt Musik selbst die Formalisierung solcher Außenbeziehung. Dann ist Musik eine über Codes geschaffene willkürliche Wirklichkeit. Inhalte, die der Außenwelt entnommen sind, legt sie nur in Ausnahmefällen dar. Das Bild, das auch dynamisch sein wollte und das digitale Bild, mussten diese Begriffe, letztlich wohl musikalische, als die ihren annehmen, wie das RÖTZER beschreibt: »das bewegte Bild, das in jedem Pixel veränderbare Bild, das wirklich musikalisch gewordene Bild, ist die Kondensation der Geschwindigkeit« (RÖTZER 1989, S. 55). Die Beschleunigung der Bewegung durch die Maschinen hat noch vor den Techniken des bewegten Bildes den Blick auf abstrakte Konfigurationen geöffnet. Dem pointilistischen Rasterbild der Impressionisten ist die Auflösung der Gegenstän-de durch die Dynamisierung des Bildraums gefolgt, der zu einer verwischten Szenerie von Farblinien wird, im Informellen ganz die Referenz auf Gegenstände verliert oder sich in der Op-Art auf die Evokation von irritierenden Eindrücken konzentriert, während die konkrete Malerei den illusionären dreidimensionalen Raum zur Fläche reduziert, »auf der sich Flächen und Linien als Bewegungs- und Energieströme kreuzen« (RÖTZER 1991, S. 33). Noch KANT und HEGEL schrieben der Musik als Ereignis in der Zeit und ihrer damit verbundenen Flüchtigkeit einen niederen Rang im System der Künste zu. Das Bedürfnis, das Dauerhafte als das Werk zu erachten, mag als Sublimation der Flüchtigkeit erachtet werden; für eine dynamisierte Welt wird das Flüchtige der Musik paradigmatisch.Wenn Peter WEIBEL (1991) »die durch die technischen Medien hervorgebrachte Kunst als eine in vieler Hinsicht radikal andere [. . . ] als die Kunst davor« (WEIBEL 1991, S. 205) bezeichnet, hat er eine am Physikalismus orientierte Bildwelt und ihre Ästhetiken vor Augen, die Veranschaulichung von Begriffen und Prozessen an ihren physikalische Repräsentanten. »Betrachten wir einflußreiche Ästhetiken der letzten zwei Jahrhunderte, dann fällt auf, daß sie auf einer Ontologie des Bildes aufgebaut sind, auf einem statischen Seinsbegriff, welcher a priori das Wesen der Medienkunst, besonders des bewegten Bildes, negiert bzw. ausschließt, nämlich dessen Dynamik, dessen Immaterialität und dessen Zeitform. Zeitform eines dynamischen Systems zu sein, ist die Seinsform der Medienkunst. Statt auf einem statischen Seinsbegriff baut die Techno-Kunst auf einem dynamischen (interaktiven) Zustandsbegriff auf« (WEIBEL 1991, S. 205). Wenn es nun gilt, Theorien für die Beschreibung und Erklärung solcher Künste aufzustellen, dann nicht durch eine Erweiterung bestehender Theorien des Bildes um jene Attributionen, sondern wohl dadurch, dass alternative Theorien aus jenen Medien heran gezogen werden, die selbst durch diese Begriffe zentral formuliert sind. Musik ist eine dynamische Kunst und Zeitgestalt, Immaterialität ist ihr als willkürliches Zeichensystem in ihrer autonomen Form eigen. Die Medienkünste sind nur aus der Sicht der visuellen Künste eine Transgression der klassischen Künste, aus der Sicht der Musik sind sie eine Überstrahlung, eine Emanzipation musikalischer Seinsform; Immaterialität, Gestaltung der Zeit, Gestaltung aus Kommunikation durch interaktive Prozesse, die sich im beziehenden Denken ausdrücken, bestim-men ihr Wesen gegenüber einer abbildenden, starren materiellen Kunst, die im