8.2 Zeit – Raum – Gefüge: ein Produkt körperlicher Erfahrung 397 vom Verhalten der Dinge verursacht selbst ein Ereignis in der Zeit, das akustische Informationsverarbeitungssystem muss daher darauf optimiert sein, diese Erschei-nung in der Zeit zu dekodieren. Ausschnitte eines Klanges von der Länge des psychologischen Moments sind nicht informativ, erst automatisch ablaufende Ver-gleichsprozesse der Ereignisse in diesen diskreten Zeitspannen des Erlebens erlauben die Wahrnehmung eines Klanges. Dabei werden, in der Art der Kontrastierung durch Figur-Grund-Bildung, durch Maskierung nicht dominante (z. B. leise und in dasselbe Frequenzspektrum fallende) Ereignisse unterdrückt zugunsten der Hervorhebung der dominanten, die dann durch Summation in eine wahrnehmbare Reihe und damit in ein zeitliches Klangerlebnis überführt werden. Automatisch ablaufende, gestaltende Prozesse sind streaming effects, die aus klanglichen Einzelerscheinungen Folgen von synchronen und diachronen Ereignissen machen. BREGMAN & McADAMS (1979) beschreiben eine Reihe von streaming effects, die sich als Folge des spezifischen räumlich-zeitlichen Zueinanders von Klän-gen bei gleichen Stimuli als unterschiedliche Wahrnehmungsphänomene einstellen – grundsätzlich sind diese nach den Gesetzten der »guten« Gestalt (nahe Nähe etc.) beschreibbar, ihre Erklärung liegt in der Differenzierungsfähigkeit unseres akustischen Informationsverarbeitungssystems hinsichtlich zeitlicher und frequenz-mäßiger Nähe. Maskierung und Summation sind jene Phänomene, die die zeitliche Ordnung beeinflussen, die gegenseitige Beeinflussung von Tonhöhen ist durch die kritische Bandbreiten gegeben. Die kritische Bandbreite beschreibt jenes Frequenz-band, innerhalb dessen keine Zweitonempfindung benachbarter Töne stattfinden kann, der Übergangsbereich ist durch Schwebung (Amplitudenmodulation bzw. Rauhigkeit) gekennzeichnet, bis dann außerhalb dieser Grenzen eine klare Zweiton-empfindung möglich ist. Die Breite des critical bandwith nimmt mit steigernder Zentralfrequenz zu. Die Anzahl der Ereignisse pro Zeit ist nun jene Metagröße, die diese Strukturierungen zu unterschiedlichen auditory streams gleicher Töne letztlich bestimmt. Beziehendes Denken mag nun jene Bedingungsgröße sein, die aus klanglichen Ereignissen in Zeit und Ton (Raum) musikalische Gestalten macht – dieses bezie-hende Denken ist im Rahmen kognitiver Prozesse als durch Erwartungen bestimmt zu erklären, die vermutlich über den hedonischen Wert des Zutreffens oder Nicht- Zutreffens verstärkt werden. Hier kommt bereits die grundlegende Strukturierung von Ereignissen durch ihren aktivierenden Wert zum Tragen, der als hedonisch erlebt wird, solche Prozesse erklärt allgemein die BERLYNE’sche (1970, 1971, 1974) Aktivierungstheorie. Der SCHENKER’sche Ursatz (1935) kann als kulturabhängiger Spezialfall betrachtet werden. Möglicherweise beschreibt »beziehendes Denken« jene relationalen Prozesse, die in der Wahrnehmung der Zeitgestalt Klang angelegt sind, deren Formalisierung Musik als systemisches Gefüge ausmacht. Diese Bezüge auf RIEMANN (1914/15) allerdings lassen die hedonischen Regelungen als motivationale und verstärkende unberücksichtigt – gerade die Strukturierung von bedeutungsneutralen Codes und Strukturierungen in Hinblick auf die körperliche Rezipierbarkeit innerhalb des Pop sind damit nicht fassbar.