8.2 Zeit – Raum – Gefüge: ein Produkt körperlicher Erfahrung 399 LIBERMAN, SYRDAL & HAWLES 1971) wie musikalischen Klängen (CUTTING, ROSNER & FOARD 1976). Die Reihung von Phonemen wie Klängen unterliegt einer sinngebenden syntakti-schen Ordnung und damit implizit einer zeitlichen Gliederung. Experimente sowohl mit Sprache (FODOR & BEVER 1965; LADEFOGED & BROADBENT 1960) als auch mit Musik (GREGORY 1978; SLOBODA & GREGORY 1980) belegen die prinzipiell gliedernde Wahrnehmung von Reihen in der Zeit. In der Musik kann die Akzep-tanz willkürlich bestimmter musiktheoretischer Ordnungsgrößen durch Lernen nicht ausgeschlossen werden. STOFFER (1985a,b, 1996) hat nach Analysen deutscher Volksmusik eine Syntax gefunden, von der er experimentell die Hervorbringung eines Kognitionsprozesses beweisen konnte: Melodien werden im hierarchischen Mustererkennungsprozess wahrgenommen. Melodien werden in Phrasen und Subphrasen, Vorder-, Mittel-und Nachsatz in Motiv und Anschlussglied zerteilt. Die gliedernde Wahrnehmung folgt eng der musikalischen Gliederung und unterliegt hierarchischen Informati-onsreduktionsmechanismen wie sie in SCHENKERs analytischer Technik anklingen. Gliederungen sind Beziehungen, die als Generalisierungen eines distanzmäßigen Vorne und Hinten, einem logischen Zuvor und Danach assoziativ mit einem zeitlichen Vorher und Nachher verbunden gedacht werden. Wahrnehmung ist prinzipiell relational (FECHNER 1859). Die beziehende Wahr-nehmung von Tondauerunterschieden sequentieller Töne (WOODROW 1951) ist die Wahrnehmung von Rhythmus. Musik ist in ihrer Zeitstruktur durch Beziehungen bestimmt. »It’s the relationship of elements to one another within [. . . ] structures, rather than their temporal or spatial proximity that determines whether or not they are psychologically close« (SLOBODA 1985, S. 66) Dieser Schluss untermauert jene Postulate wahrnehmungsmäßig, die spätestens seit RIEMANN (1914/15) (absolute) Musik als »beziehendes Denken« sehen. Lineare Zeit wird durch zyklische Zeit strukturiert, Rhythmus ist jene Strukturie-rung. RIEMANN (1900) erachtet Rhythmus – gleichsam funktional – als gliedernde Grö-ße zur Mustererkennung; für ihn ist Rhythmus eine Art Strukturierungsparameter im Dienste der Erkennung der Tonbewegungen. RIEMANN meint, »daß die Durch-führung und Kenntlichmachung einer solchen Zeitteilung Anlaß gibt zu Vergleichung der durch sie begrenzten Inhalte, daß dem Geschehen innerhalb der damit markier-ten Zeitteile gewisse Periodizität zunächst äußerlich aufgeprägt wird, welche zum Aufsuchen einer wirklichen Periodizität in den gegliederten Tonbewegungen selbst anregt. Ganz zwecklos ist deshalb der Versuch, an interesselosen Markierungen, wie z. B. durch Trommelschläge, das Wesen des Rhythmus ergründen zu wollen« (RIEMANN 1990, S. 134–135). Dieses ästhetisch analysierende Verhalten überträgt er allgemein auf die Rezeption. Wie wohl RIEMANN dieses an die Gliederung von Tonhöhen gebundene Verständnis von Rhythmus nicht auf den Tanz bezieht, hätte er möglicherweise sein absolutes Verständnis nicht auf die rhythmusdominierte Rock-Musik übertragen, wo Rhythmus von Trommeln eine eigenständige Größe vor der oder zumindest zusätzlich zur Strukturierung von Klanglichkeit ist. Musik ist Prozesskunst und Formalisierung der Zeitwahrnehmung – einer sub-jektiven Zeit: Das In-Beziehung-Setzen von strukturellen Elementen durch vom