8.2 Zeit – Raum – Gefüge: ein Produkt körperlicher Erfahrung 403 Wahrnehmende sucht nach Invarianten der Veränderungen und versucht so implizit die Ausschaltung des Faktors Zeit durch ihre künstliche Konstanthaltung. »Zeit und Raum sind damit nicht als getrennte Kategorien definiert. Es ist eine sinnvolle Spekulation zu sagen, daß die zeitliche und räumliche Erfahrung nur auf verschiede-nen Typen von Transformationen derselben Information beruhen. Die Gegenstände erkennen wir, indem das Beständige, Invariante einer Information entdeckt wird; die Zeit erleben wir an den Veränderungen. Der Zeit- und Raumanschauung läge damit lediglich eine verschiedene Informationsverarbeitung zugrunde im dem Sinne, daß das, was im einen Fall im Zentrum steht, im anderen peripher wird« (de la MOTTE-HABER 1990, S. 15). Raum ist eine basale Wahrnehmungskategorie, die durch die permanente Er-fahrung zur Denkkategorie internalisiert wird – die eigene Erfahrung ist somit Vorbedingung für das dann dem Verstehen zugängige Erleben mediatisierter Räume. Das Individuum definiert sich über die Erfahrung des Ortes. Die Raumwahrnehmung ist ein Artefakt der Bewegung von Ereignissen in der Zeit und damit des erfahrenden Körpers. Körper ist das Medium der basalen Raum-und Identitätswahrnehmung; Mit zunehmender Entfernung der Raumerfahrung von der eigenen Körperlichkeit steigt die mediatisierte Erfahrung, unterschiedliche Identitätskonzepte gehen damit einher. Der unmittelbar körperlich erkundbare Raum lässt uns körperliche Verortung erleben, Translokation tritt bei zeitlichen Verzögerungen und nach dem mechanisti-schen Paradigma räumlicher Dislokationen auf; Entortung ist jenes Selbsterlebnis, das den Körper-Umwelt-Bezug völlig entkoppelt, wo die hohe Geschwindigkeit der Bewegung im mechanistischen System die zeitliche und damit räumliche Analyse nicht mehr erlaubt und Zeit und Raum zum Jetzt und Hier, im psychologischen Moment verschmilzt. Individualität ist an die körperliche Erfahrung von Raum und an seine kulturellen Spezifika gebunden. PÖPPEL (1999) argumentiert in seinem Konzept von Syntopie folgerichtig introspektiv ein transkulturelles Bewusstsein über Teilkulturen hinweg unter Besinnung auf den Körper-Umwelt-Bezug. »Wenn man sich fragt, was macht eigentlich mein Ich aus, wer bin ich eigentlich, dann stellt man fest, daß es die Bilder sind, die ich aus meiner Vergangenheit in mir trage. Es prägen sich also in mir Bilder ein, die meine Lebensgeschichte eigentlich erst ausmachen, und zwar aus einem abrufbaren bildhaften Gedächtnis. Diese Bilder sind immer mit Orten verbunden. Es sind immer Orte, an denen etwas geschehen ist. Das heißt für mich, daß Syntopie die Grundlage bzw. der Begriff ist, um personale Identität faßbar zu machen, und zwar durch die Orte, an denen ich verwurzelt bin. Alles, was man macht, ist ortsgebunden. Ich vertrete übrigens die These, daß die Orte wichtiger werden, weil wir immer virtueller kommunizieren« (PÖPPEL 1999, S. 47). Dem gegenüber steht die Erfahrung der Identität von außen. In der Fremdbe-obachtung ist Identität durch den vom Beobachter geleiteten Zugriff bestimmt. Sowohl die menschliche Wahrnehmung als auch die technische nutzen Medien, die die personale Identität an vermeintlichen Indikatoren abtasten, »Datencluster er-fassen, abspeichern und abbilden« (MEDOSCH 1996, S. 153). Nicht nur »in [der] ›Techno-Sphäre‹ ist [der] ›Mensch‹ die Summe aller Daten, die über ihn erfaßt