404 Bedingungen der Irritation und Transgression des mechanischen Systems werden« (MEDOSCH 1996, S. 153) – dort wird ein rein menschliches Verhalten erst durch die Externalisierung neu bewusst: »understanding man – [by] extensions of media« (MEDOSCH 1996). Die durch technische Entwicklungen bedingte Irritation der Körper-Wahrneh-mung in seinem Bezug zur Umwelt führt zu einer Irritation des Selbst, nach PÖPPEL zu einem Gefühl der Entortung. Im entorteten Raum wird der »Verlust« der Identität erlebt. Einerseits erlaubt der entortete Raum Identitätsabtastung durch die Analyse des Verhaltens, andererseits erlaubt die Entortung willkürliche Identitätskonstruktion, fake identity.2 8.2.2.1 Visueller versus auditiver Raum – psychologische Raumkonzepte Sinnesorgane sind phylogenetisch auf die Wahrnehmung spezifischer Informationen spezialisiert. Auge und Ohr haben sich aufgrund der unterschiedlich zu verarbeiten-den, unterschiedlichen Information unterschiedlich entwickelt, entsprechend anders spezialisiert; das jüngere visuelle System hat sich zudem mit der Fähigkeit zur eigenen Bewegung heraus gebildet. Das Auge erfasst die Dinge selbst, es erfasst Starres, wenn Lichtwellen ungehindert auf das Auge treffen. Das sensorische Abbild ist ein Icon, das Erkennen dieses Icons ist eine kognitive Leistung, eine Denkleistung. Um aus visueller Information das Verhalten der Dinge zu extrahieren, muss Bewegung stattfinden oder eingebracht werden: Aus Veränderungen der Gegenstände im Raum-Zeit-Gefüge abstrahieren wir Raum wie Zeit. Die Logik des Visuellen ist die Internalisierung des aufgrund seiner Natürlichkeit stets gleich auftretenden möglichen Verhaltens der Dinge; die Kraft dahinter, die wir diesem Verhalten zuschreiben, nennen wir Kausalität. Erst aus dem Verhalten der Dinge ist dem visuellen System das mechanistische System zugängig. Das Ohr erfasst grundsätzlich das Verhalten von Dingen, ihr Schwingen, das die umgebende Luft anregend über Schallwellen unserem Ohr vermittelt wird – das Ohr erfasst somit Flüchtiges. Das auditive System ist auf die Wahrnehmung dynamischer Zeitgestalten orien-tiert, die im Moment nicht erfassbar sind. Wahrnehmungsinhalte diskreter Momente werden durch automatisch ablaufende Vergleichsprozesse in einen kontinuierlichen Fluss gebracht. Die Logik des Auditiven ist das stete Herstellen von Beziehungen zur Herausfilterung und der Reihung dominanter Ereignisse in time-slices. Primär ist unsere Repräsentation von Raum ein visueller Raum. Räumliche Er-fahrung und damit die kognitive Repräsentation von Raum ist an seine (aktive) visuell/taktile Exploration geknüpft: Im Gefüge Geschwindigkeit-Distanz-Zeit erfah-ren wir Raum zuerst durch die unmittelbare Bewegung unseres Körpers (PIAGET 1946). 2 Auf dem Kongress »Audiovisualitat vor und nach Gutenberg« reflektiert Peter SPANGENBERG im Vortrag Körper im Internet über das Chatten im Internet als einem aktuellen Phänomen einer Mündlichkeit zweiter Ordnung. »Gerade in seiner Flüchtigkeit und Kontingenz, in seinen transitorischen und performativen Verfahren, in seinen ›körperlichen‹ Inszenierungen und fingierten Identitätskonstruktionen erscheint das Chatten als eine sekundäre Mündlichkeit, die jene mit der Face to Face-Kommunikation verbundene Verbindlichkeit nur scheinbar aufhebt« (Ines STEINER 1999, S. 17–18).