8.2 Zeit – Raum – Gefüge: ein Produkt körperlicher Erfahrung 413 ist schließlich ebenfalls in einer mehrdimensionalen Verschachtelung von Kontu-ren darstellbar – dieser musikalische Raum ist die Objektivation des physikalisch gebundenen Klangraums. 8.2.2.5 Raum als musikalische Größe Die Geschichte der Musik weist Einflüsse des Räumlichen auf ihre Gestaltung nach.Die Einbeziehung der akustischen Größe Raum, zumindest in die musikalische Aufführung, ist seit den Gabrieli Chören bekannt. Die spezifische Architektur der Markus-Kirche in Venedig mit zwei gegenüberliegenden Orgelemporen, auf denen je ein Chor von Sängern platziert werden konnte, mag, wenn schon nicht die Wech-selchöre initiiert, so doch einen adäquaten Aufführungsrahmen für den Antiphon geboten haben und somit eine musikalische Entwicklung zumindest begünstigt haben. Dem dort wirkenden niederländischen Komponisten Adrian Willaert werden die ersten mehrchörigen Werke zugeschrieben; Gabrieli ist ob der Dominanz der mehrchörigen Werke in seinem Schaffen ihr Namensgeber (vgl. de la MOTTE-HABER 1986). Die Bedeutung der akustischen Eigenschaften von Räumen wurde vor allem im Barock mit der Konstruktion von – aus unserer heutigen Sicht – überakustischen Räumen genutzt, wohl zur Unterstreichung des sinnlichen Charakters der Musik dieser Zeit. Im langen Nachhall verschmilzt das Gewebe polyphoner Stimmen zu meditativ verharrenden, durch die Gleichartigkeit rhythmischer Elemente monoton ablaufenden Klangmomenten. Die Herausbildung differenzierter Klangfarben im klassischen und vor allem romantischen großen Orchester führte schließlich zur Konstruktion akustisch neutraler Säle. Beide Raumbedingungen sind zugleich Korrelate der unterschiedlichen Ästhetik des Barocks und der Klassik. Der überakustische barocke Raum erlaubt das Einhüllen in einen emotionalen State, die neutrale Akustik des klassischen Konzertsaals der im Narrativen fortschreitenden Entwicklung zu folgen.Das 20. Jahrhundert kennt die Größe Raum – wohl als Ausstrahlung naturwissenschaftlichen Denkens in künstlerische Bereiche – nicht bloß als akustische, sondern als explizit musikalische; sie ist nicht eine, in die die Aufführung eingebunden ist, sondern ein kompositorischer Parameter. »Das bewußte Herausgreifen der einzelnen ›Parameter‹ der Musik in der Folge des Serialismus, die Öffnung des traditionellen Werkbegriffs und vor allem die wachsenden technischen Möglichkeiten der Elektronik bildeten geistige und materiale Voraussetzungen« (DIEDERICHS-LAFITE 1986, S. 281) dafür. Vorerst ist die physische Anwesenheit des Klangkörpers an einem Ort notwendig, die Musiker werden im Raum platziert oder bewegen sich in diesem, später nutzt man im Verein mit elektronischer Darbietung die gezielte, gerichtete Schallabstrahlung und mit dem Einzug digitaler Klangmanipulatoren die Simulation akustischer Räume durch das Nachstellen des Verhaltens von Schallwellen im physikalischen Raum. Palmipèdes d’agrément-for alto and spatialisateur von Georges Bloch war das erste Stück, das 2 Instrumente, eines prerecorded, eines live gespielt, in realtime künstlich spatialisiert, sie gleichzeitig in unterschiedlichen künstlichen Räumen erklingend zueinander stellt, diese morpht und willkürlich einen Hyper-Space kon-struiert. Das Stück wurde 1993 mit einem Prototyp des spatialisateur auf der Basis